CHILOÉ II

Isla Grande de Chiloé

Die grosse Insel hat in der Nord-Süd Richtung eine Ausdehnung von 180 km und weist eine Breite von 50 km auf. Heute leben hier rund 150’000 Personen, die von der Fischerei, insbesondere der Lachszucht, der Landwirtschaft, aber auch vom Tourismus leben. Es ist die zweitgrösste Insel Südamerikas.

Morgens, noch etwas verschlafen, geniessen wir vom Parkplatz des Hafens den Blick über den Canal Lemuy. Fürs erste erscheint der Himmel nicht mehr so zappenduster und wir freuen uns auf den frisch angebrochenen Tag. Hinter der Araucaria, dem chilenischen Nationalbaum, schimmert sogar etwas blau durch die Wolkendecke.

Araucaria, àrbol nacional

Die Vegetation ist hier dank dem ausserordentlich feuchten, aber doch erstaunlich milden Klima überraschend üppig. Selbst Darwin zeigte sich beeindruckt ob der Vielfalt endemischer und eingeführter Pflanzen.

Copihue, flor nacional

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unser Weg nach Norden führte uns entlang der von Buchten und Fjorden zerfransten Ostküste. Hier liegen auch die meisten Ortschaften und Siedlungen. Unseren ersten Halt machten wir in Dalcahue, am gleichnamigen Kanal gelegen. Etwa 5000 Leute wohnen hier. Geschäftiges Treiben prägt die Strassen entlang dem Hafen und dem Zentrum rund um den Kirchplatz. Der Märit wird dominiert von zahlreichen Kleiderständern, an denen einem selbstgefertigte Strickwaren aus Lama- oder Guanacawolle angeboten werden. Die Wolle der Guanacos ist hoch geschätzt wegen der wohligen und angenehmen Wärme, die sie verleiht. Vor allem Ponchos, aber auch Mützen und Halstücher in allen Farben werden feil geboten und erinnern uns daran, dass wir uns immer noch in einer rauen Klimazone befinden. Die Kirche Nuestra Señora de Los Dolores steht schon 150 Jahre an diesem Platz und gilt als eine der grösseren auf dieser Insel. Etwas abseits der Kirche, oben am Hügel, das Dorf und den Kanal und die Insel Quinchao überblickend, befindet sich ein monumentaler Friedhof. Man könnte fast neidisch sein auf die Bewohner, die dort an privilegierter Lage ihre letzte Ruhe gefunden haben.

Dalcahue, ein Wort aus dem Mapudungung, bedeutet: Ort der Dalcas. Dalcas sind eine Weiterentwicklung von zuvor in der Gegend der Magellanstrasse gebräuchlichen Kanus. Unglaublich, was man alles erfahren kann, wenn man sich mit dieser Art Schifffahrt beschäftigt. Eine ganze Wissenschaft beschäftigt sich damit. Kanu ist nicht gleich Kanu. Die Uranfänge der Schifffahrt bilden eine solide Grundlage für viele ethnologische Studien. Der Einbaum eines Brasilianers, eine Piroge, wie wir sie dort auch gesehen haben, ist kaum vergleichbar mit den Kanus der Eskimos Nordamerikas, die Knochengerüste mit Tierfell bespannten. Es existierten banale Flosse aus Schilf gefertigt, aus Reisig gebundene und verpichte Schiffskörper etc. Vielfach wurde Baumrinde verwendet, dabei fertigten die Huronen ihre Kanus mit Birkenrinde, die Irokesen benützten Ulme. Schlicht, das primitive Wasserfahrzeug ist eine Funktion der Natur, in welcher die Völker beheimatet sind. Nun, die Dalca ist das erste Boot, das aus Planken gefertigt wurde und stellte den vom schiffsbautechnischen Standpunkt aus betrachtet den höchst entwickelten Typus aller primitiven amerikanischen Wasserfahrzeuge dar. Die Dalcas waren vier bis acht Meter lang und boten Platz für acht bis zwölf Personen. Mit der Ankunft der Spanier hat sich diesbezüglich vieles entwickelt und verändert. Heute fahren auch die Chiloten mit hochpferdigen Motoren in ihren Gewässern umher.

Wir aber waren mit dem Auto unterwegs und folgten der Strasse weiter Richtung Norden. So gelangten wir nach Quemchi, ein verträumtes, beschauliches Dorf. Die vielen Salmoneras machen sofort klar, welches die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung ist.

Zurück auf der Hauptstrasse, die Teil der Panamericana ist, fuhren wir weiter Richtung Norden. Unser Ziel war Ancud. So fuhren wir also an der Abzweigung nach Chacao, dem Fährhafen zum Festland, vorbei. Bis 1982 war Ancud die Hauptstadt des chilotischen Archipels. Die Stadt blickt auf eine äusserst bewegte Geschichte zurück. Engländer, Spanier und die Einheimischen lieferten sich hier verbissene Kämpfe um die Vorherrschaft. So erstaunt es nicht, dass wir hier auf zahlreiche mit Kanonen bestückte Befestigungsanlagen treffen. Der Name Ancud bedeutet in der Sprache der Indianer «dickbauchiger Hügel», was schon darauf hindeutet, dass diese Gegend zum Errichten von Verteidigungsanlagen ausgezeichnet geeignet war.

Genau hier oben auf diesem Hügel erwartete uns ein quirliges, lebhaftes Stadtzentrum. Klar doch, dass es auch hier ein Museum geben muss. Es beschäftigt sich mit viel Maritimen, Ruralem und natürlich der Geschichte. Der Besuch lohnt sich nur schon wegen dem Blick auf den Hafen und die Strasse von Chacao. Man gewinnt auch eine Vorstellung, wie das damals mit den Befestigungsanlagen ausgesehen haben muss.

eine Art Dalca
Bongo, zum Transport von Agrarprodukten, vor allem papas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

im Museum, dahinter der Glockenturm der Kathedrale

Am Hauptplatz, wie sich das gehört, eine Kirche. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Kirche, nein, es ist die Kathedrale von Chiloé. Damit ist auch gesagt, dass die Kirche in Castro ihren Namen als Kathedrale zu Unrecht trägt, auch wenn sie in der Hauptstadt steht. Durch das grossstädtische Gewühl schlängeln wir uns zum Hafenviertel hinunter. Nach Wochen und Monaten der Einsamkeit und Ruhe fühlten wir uns ein wenig wie auf der Flucht. Überall lauerten schnelle Autos und durch die Welt hastende Menschen. Die Hektik, Lärm und Gestank einer Stadt sind wir nicht mehr gewohnt.

 

 

 

 

 

Das heutige Wetter war angenehm warm und recht sonnig, halt windig, ozeanisch. Die sommerliche Durchschnittstemperatur beträgt etwa 19° C, mit einem Rekord von über 30° C. Im Winter soll es um die 8° betragen. Ich habe aber auch schon von Rekorden knapp unter dem Gefrierpunkt gehört. Dagegen ist es bei uns in der Schweiz ja richtig garstig. Die Aussage von Darwin, dass das Klima hier im Winter entsetzlich und im Sommer nur unwesentlich besser ist, können wir nicht ganz nachvollziehen.

Im letzten Jahrhundert war Ancud wichtiger Heimathafen zahlreicher Flotten, die von hier aus auf der Jagd nach Walen den Südpazifik und die antarktischen Gewässer durchpflügten. Ihr grosser Erfolg führte zu einem empfindlichen Rückgang der Walpopulationen und damit auch der Aktivität im Hafen. Eisenbahn und Holzwirtschaft bescherten Stadt und Hafen einen erneuten Boom. Noch heute herrscht hier rege Betriebsamkeit. Neben Fischereifahrzeugen und Transportschiffen finden sich jetzt auch vermehrt Ausflugsschiffe, die Fahrten zu den nahen Inseln wie Puñihui anbieten, die für ihre Biodiversität berühmt sind, meist aber wegen den Humboldt-Pinguinen besucht werden.

Unser nächstes Ziel lag wieder im Süden, etwa in der Mitte der lang gezogenen Insel. Wir besuchen den Cucao Nationalpark, wie der ganz im Süden gelegene Tantauco ein bedeutungsvolles Feuchtgebiet. Rund ein Dutzend Feuchtgebiete umfasst die Insel, oder anders gesagt, es gibt auf der Insel Gebiete, die sind noch feuchter als alles andere rundherum. Das brachte der Insel den Spottnamen ein «Wasser vom Land und vom Himmel» ein, oder halt von oben und unten, schlicht überall. Wir fahren also auf der Panamericana südwärts, durch eine Mischung von sanften grünen Hügeln und blauem Wasser, gewundenen Flüssen, Seen, Sumpflandschaften, Lagunen und Fjorden. Die Feuchtgebiete sind Lebensraum zahlreicher Schnepfen und Brachvögel. Flamingos und andere Zugvögel, selbst solche, die ihre Brutstätten in arktischen Gebieten haben, verbringen den Sommer in diesen Sümpfen. Chiloé gilt als Vogelreservat von hemisphärischer Bedeutung. Aber auch andere, endemische Tierarten fühlen sich hier wohl. So leben hier seltene Beuteltiere, wie die Beutelratte oder andere spezielle Viecher wie  Colocolokatze oder der Chiloéfuchs (zorro chilotica). Das viele Wasser und die ausgeglichene, eher milde Temperatur verhelfen der Landwirtschaft zu grosser Vielfalt und Fruchtbarkeit. Auf dieser Insel gedeihen über 200 verschiedene Kartoffelsorten, die schon vor den Spaniern hier waren. Auch Tomatenapfelbäume gedeihen hier prächtig.

Auf unserer Fahrt lassen wir die Landschaft und den düstergrauen Himmel auf uns einwirken. Verschiedentlich halten wir an den im Nationalpark vorgesehenen Orten an, um zu Fuss die Wildnis zu erkunden. Wir durchstreifen Sümpfe und Busch können aber ausser ein paar müden Vögeln kaum etwas wirklich Interessantes entdecken. Bei diesem windig trüben Wetter scheint sich selbst die Natur nicht draussen aufzuhalten. Erst als wir an der Küste des Pazifiks die Dünen erreichen, ändert sich das Licht und die Farben. Der Wind treibt mächtige Wellen vor sich her, die mit ohrenbetäubendem Getöse den langgezogenen Sandstrand überspülen. Ihre Schaumkronen, die auf den Strand aufliefen, verliehen dem Bild etwas Grandioses. Trotz des trüben Lichts sah das Meer silbrig aus und die sprühende Gischt, die sich überall in der Luft verteilte, verlieh der Landschaft einen metallischen Glanz.

 

 

 

 

 

Wir liebten es dort zu stehen und das unheimliche Tosen der Wellen auf uns einwirken zu lassen. Die Dünen sind nicht besonders hoch, wie man das hier vielleicht erwarten könnte. Dafür sind sie mit vielen, uns meist unbekannten Pflanzen überwachsen. Wir befinden uns in einer richtigen Kampfzone, das Grün der Landschaft gegen das Blau des Wassers.

 

 

 

 

 

Kampfzone

Als die feuchte Kälte immer mehr unter unsere Kleider kriecht und der Sand nicht nur zwischen unseren Zehen reibt, sondern auch zwischen den Zähnen knirscht, begeben wir uns zurück zum Auto, das wir heute Abend zurückgeben wollen.

Den Abend verbrachten wir in Castro im El Mercadito einem stimmigen Lokal an bevorzugter Lage unten am Pedro Montt. Die Speisekarte offeriert viel Lokales, ist vielleicht etwas seelastig, enthält aber für alle etwas Gluschtigs.

Gilt der Spruch an der Wand den beiden Damen?

Das tolle Ambiente mit grossmütterlicher, teils witziger Dekoration lädt zum Verweilen ein. Das aufmerksame Personal verwöhnte uns mit tollem Service und viel Herzlichkeit.

 

 

 

 

 

Den chilenischen Spruch oben an der Wand nahmen wir uns also zu Herzen und genossen den letzten Abend auf Chiloé ausgiebig, bevor wir mit dem Taxi spät in der Nacht zu KAMA* zurückkehrten.

Derjenige der es eilig hat, verschwendet seine Zeit. Nimm dir die Deine…