MAGELLANSTRASSE

Magellanstrasse

 

 

 

 

 

Es war noch früh, als wir am Morgen des 22. Februar in der Caleta Brecknock die Leinen lösten. Uns stand ein interessanter Tag bevor. Wir wollten in die Magellanstrasse gelangen. Über Nacht hatte es wieder geschneit. Auf dem Deck lag Schnee. Doch als wir aus unserem Versteck hervorkrochen zeigten sich ab und an ein paar Sonnenstrahlen.

Durch den Seno Ocasión gelangten wir zurück in den Canal Brecknock, dem wir nach Nordwesten bis zu seinem Ende folgten. Dort öffnet er sich zum offenen Pazifik hin, was hier zu unangenehmen Schwell führen kann.

Canal Brecknock nach Westen. Null Wind.

Einmal mehr war das Glück auf unserer Seite und unbehelligt konnten wir an dieser Stelle nach rechts in den Canal Cockburn abzweigen.

Blick nach hinten zum offenen Pazifik. Nur wenig Schwell gelangt bis zu uns.

Prinzipiell gibt es von hier aus drei Möglichkeiten in die Magellanstrasse zu gelangen. Offiziell erlaubt die Armada aber nur die Durchfahrt durch den Canal Magdalena entlang der Isla Grande de Tierra del Fuego. Dieser Kanal ist breit, übersichtlich und ohne gröbere Hindernisse. Landschaftlich soll er spektakulär schön sein, dominiert vom Monte Sarmiento mit seinen vergletscherten Abhängen. Der grosse Nachteil für uns waren aber die fünfzig Seemeilen Umweg, in etwa einer Tagesetappe entsprechend. Zudem endet dieser Kanal am Knie der Magellanstrasse, ungefähr dort, wo dieser Wasserweg nicht von ungefähr auch Paso del Hambre genannt wird. Auf dem Weg nach Westen beginnt hier bis zur Is. Charles der schwierigste und mühsamste Abschnitt der ganzen Magellanstrasse gegen vorherrschenden Wind und Strömung. Am besten erschien uns, nicht nachzufragen und einen der gesperrten Kanäle zu benutzen.

Blick nach Osten über den Canal Cockburn zur Cordillera Darwin

Wir entschieden uns für den Acwalisnan, nicht wegen seinem fast unaussprechlichen Namen, sondern weil er uns am kürzesten und direktesten erschien. Er ist in einem Tag zu schaffen und vermindert so das Risiko einer Begegnung mit einer patrullera der Armada in diesem gesperrten Gebiet. Der Canal Bàrbara, der am westlichsten gelegene, liest sich in seiner Anleitung eher kompliziert, ist kaum in einem Tag zu schaffen und wahrscheinlich militärisch genutzt. Er hätte uns aber einen grossen Teil – den schwierigsten – der Magellanstrasse erspart. Wir wollten uns aber nicht partout mit der Armada anlegen. Doch auch Acwalisnan hat seine Tücken. Vier Engstellen sind zu bewältigen, die schwierigste ist der Paso O’Ryan. Die Wassertiefe beträgt hier lediglich vier Meter und die Strömung gegenan kann acht Knoten betragen. Da schaffen wir es mit unserem Motor gerade einmal einfach dort still zu stehen. Der Trick hier durchzukommen besteht darin, diese Stelle genau bei Hochwasser zu passieren. Dieser Zeitpunkt, und es handelt sich wirklich fast um einen Punkt, ergibt sich aus dem Hochwasser in Bahía Woods plus eine Stunde, also so ungefähr. Unsere Planung startete demnach schon frühmorgens, um sicher zeitig an dieser Stelle zu sein. Nach dem Durchlaufen des Canal Cockburn schwenkten wir in den Seno Dyneley ein, von wo der Acwalisnan abzweigt. Hier in der Caleta Cluedo hielt sich noch immer Dada Tux versteckt, gutes Zeichen, dass wir nicht zu spät dran waren. Im Gegenteil, wir hatten leichten Vorsprung auf unsere Marschtabelle und begannen unser Tempo etwas zu drosseln. So hatten wir Musse uns am Anblick des wolkenverhangenen Monte Sarmiento, den Kapriolen schlagenden Ottern und den lärmig kreischenden Kormoranen zu erfreuen. 

Monte Sarmiento, 2404m, Erstbesteigung 1956, einer der schwierigen Berge. Blick zum Canal Magdalena.

 

 

 

 

 

Irgendwo da vorne geht es in den Kanal hinein, der die Bergkette durchschneidet.
Hier ist sie! Die Kormorane auf der Insel finden wir seien hier richtig.

Die Einfahrt in den Kanal war unproblematisch und langsam tuckerten wir diesen hoch. Das Wasser strömte uns noch immer entgegen. Doch wir hatten noch etwas Zeit. Aber ungewöhnlich für mich, wir erschienen leicht verfrüht zum um 1745h vereinbarten Rendez-vous mit dem Paso O’Ryan. Zwanzig Minuten vielleicht, so genau kann man das ja gar nicht sagen, aber wir fühlten uns, wie wenn wir den Rheinfall hochfahren müssten. Es strömte, riss, blubberte und gurgelte rund herum, zu sehen v.a. im Video.

Mit dem Gashebel durchbrach ich beinahe das Deck, trotzdem kamen wir kaum voran. Die neben uns fischenden Vögel und das Ufer waren immer gleichauf. Zentimeter um Zentimeter kämpfte sich KAMA* voran, Abbrechen war keine Option, da das Fahrwasser zu eng war, um das Risiko darin quer zu stehen, eingehen zu können. Dann endlich, nach ein paar etwas bangen Minuten kam wieder Bewegung ins Schiff und langsam fanden wir aus dem Strudel heraus. Aufatmen, durchatmen und Freude haben über die gelungene Passage. Der Tag war aber noch nicht zu Ende, obwohl es Abend wurde. Wir mussten vorne noch um die Ecke, an weiteren Engstellen vorbei und insgesamt betrug die vor uns liegende Strecke bis hinauf zur Magellanstrasse noch zwölf Meilen. Ein unglaublich befreiendes Gefühl erfasste uns, als wir in diese breite, momentan ruhige Strasse hinauskamen. Wir wendeten uns nach Osten, um in der Caleta Hidden zu übernachten. Der Ankerplatz lag wirklich tief versteckt in der Bucht und als ganz hinten unser Anker fiel, war es schon am Eindunkeln.

 

 

 

 

 

Doch das war noch nicht das Ende des Tages. Der Anker wollte und wollte nicht halten. Wir verholten wohl oder übel in eine andere Ecke der Bucht, wo uns Katja mit langen, langen Leinen am Ufer festbinden konnte. Die Nacht kann kommen.

Am kommenden Tag nahmen wir uns ein schönes Stück Magellanstrasse vor.  Paso Froward, ganz zu Beginn, gilt als das heikelste Stück Magellanstrasse, gekennzeichnet durch erschreckend konstant schlechtes Wetter mit durchschnittlich dreissig Knoten Wind aus Nordwest, locker auf fünfzig Knoten auffrischend beim Durchgang eines Tiefs.

für die kommende Fahrt durch die Magellanstrasse…
…will alles gut aufgeräumt und festgezurrt sein.

 

 

 

 

 

 

Die Bedingungen werden durch die steilen Küsten und tiefen Täler, welche den Wind kanalisieren zusätzlich verschlimmert. Es bilden sich brutal heftige Böen, die auch als Williwaws gefürchtet sind. Aus nicht vorhersagbarer Richtung schlagen diese Böen zu, stürzen von den Felswänden herunter und lassen eine Gischt hochsteigen, die an eine Rauchsäule erinnert. Auch wenn sie nur von kurzer Dauer sind, mit ihren siebzig Knoten Wind können sie an einem Schiff, wie dem unsern erheblichen Schaden anrichten, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Beruhigt sich das Wetter ist das nur ein Indiz dafür, dass eine nächste Front im Anzug ist, wieder mit Wind und Regen oder gar Schnee im Gepäck. Wir wussten also, was wir zu erwarten hatten, als wir wohlvorbereitet unseren gut geschützten Ankerplatz verliessen. Ziemlich genau 500 Jahre nach Magellan fuhren wir in die von ihm lange gesuchte Passage zwischen Atlantik und Pazifik, welche die Umschiffung von Kap Hoorn vermeiden sollte, hinein.

Cabo Froward mit dem metallenen Kreuz – Cruz de los mares – der südlichste Punkt des amerikanischen Kontinentes. Das Wetter im Ostarm des Kanals ist, wie hier, in der Regel besser. Wir wenden uns gegen Westen.

Bis zur Eröffnung des Panamakanals 1914 war das ein viel benutzter Weg, um von der einen zur anderen Seite des amerikanischen Kontinents zu gelangen. Dieser zerklüftete Schlitz ist insgesamt 300 sm lang und trennt den Kontinent von den zahlreichen südlichen Inseln, die gesamthaft als Feuerland, Tierra del Fuego, bekannt sind. Abgesehen des alleröstlichsten Zipfels liegt das Gebiet ganz in Chile. Am östlichen Arm liegt Punta Arenas, die einzige Ortschaft entlang dieser Passage. Neben dem unermüdlich schlechten Wetter sind es auch die teils heftigen Strömungen zwischen den beiden Ozeanen, die uns Seefahrern die Passage durch diesen Kanal vermiesen. Der Kanal, der von Magellan zwischen Oktober und November 1520 befahren wurde, hiess, von Magellan höchst persönlich so getauft, Allerheiligen-Kanal, in Erinnerung an seine Fahrt hier am 1. November, Todos los Santos. Da werden Erinnerungen an die Bucht bei Salvador de Bahía wach, die auch heute noch so heisst. Auch die Bezeichnung Feuerland geht auf Magellan zurück. Bei seiner Durchfahrt beobachtete er, wie die einheimischen Indios, die Alacaluf / Selk’nam / Yaghan, die Kawesqar, überall Feuer entzündeten, wahrscheinlich um sich gegenseitig mittels Feuer und Rauch über die Anwesenheit fremder Schiffe zu informieren. Nur eines der fünf Schiffe von Magellan, die Victoria, kehrte schliesslich in ihren Ausgangshafen zurück und war somit das erste Schiff, das jemals die Erde umrundete. Der Beweis war erbracht, die Erde ist rund! Magellan selbst kam im April 1521 auf den Philippinen ums Leben, hat also die Umrundung des Erdballs nicht geschafft. Ich glaube, ich habe schon einmal auf Stefan Zweigs Biografie über Magellan hingewiesen. Ein absolut lesenswertes Buch, das viel Verständnis für unsere Weltgeschichte weckt.

Wir bewegen uns also in absolut geschichtsträchtigen Gewässern. Nach der Ausfahrt aus der Caleta erhaschen wir noch einen Blick auf das riesige Metallkreuz, das 300 m hoch auf Kap Froward steht und die Grenze zwischen dem Ost- und Westteil der Magellanstrasse markiert. Die äusseren Bedingungen sind so günstig, dass wir sogar segeln können. Sonne und Graupelschauer wechseln sich ab, aber wir kommen gut voran.

 

 

 

 

 

Begleitung durch den Paso Ingles

Der Wind bläst mit maximal 4 Beaufort aus Süd. Nachmittags um vier Uhr durchlaufen wir unter Motor den Paso Ingles, die Engstelle bei der I. Carlos III. Gleich dahinter muss man aufpassen, nicht in den Canal Jerónimo zu geraten. Der Paso Tortuoso, den wir zu nehmen haben, ist aber, wie eigentlich der ganze Kanal, gut betonnt.

Auf dem amerikanischen Kontinent gilt IALA B, ein Betonnungssystem, das die Farben genau umgekehrt zeigt. Dies gilt sonst nur noch für Japan, Korea und die Philippinen.

Hier an der Abzweigung hat die Armada einen Stützpunkt, bei dem man im Bedarfsfall auch nachfragen kann. Nach diesem gewundenen Kanal gelangen wir in den Paso Largo, dem wir noch für ca. zehn Seemeilen folgen. An der Nordseite findet sich die Caleta Notch, unser Schlupfloch für die Nacht. Sie bietet guten Schutz, ist aber anfällig für Williwaws. Die Einfahrt, vorbei an kleinen Inseln und Untiefen, hat durchaus ihre Tücken. Im Handbuch wird auf einen weissen Felsklotz hingewiesen, der einem die Richtung zeigt.

 

 

 

 

 

Vorsichtig schieben wir uns durch die enge Einfahrt, nach welcher wir in eine Bucht gelangen, einem Ententeich nicht unähnlich. Nach über sechzig Seemeilen unbehelligter Fahrt durch die Magellanstrasse fällt unser Anker abends um neun Uhr auf den Grund der Caleta und wir, mehr als zufrieden, in unsere Kojen.

Am nächsten Tag gelangten wir unter Motor durch den Paso Largo zum Paso del Mar, der in den offenen Pazifik hinausführt. Er ist wegen der schweren See, die hier vom Ozean hereinstehen können, gefürchtet. Viele westgehende Schiffe verbringen in dieser Gegend Tage in geschützten Buchten, um bessere Bedingungen abzuwarten. Übrigens auch der Ausdruck pazifischer, also friedlicher Ozean geht auf Magellan zurück. Er muss in seiner Strasse ja wirklich garstige Bedingungen vorgefunden haben, dass ihm der offene Ozean friedlich vorkam. Nur schon beim Lesen der Beschreibung dieser als Milky Way bekannten Ecke des Ozeans durch unseren Joshua stehen einem alle Haare zu Berge. Slocum wurde durch das tobende Meer richtiggehend zurückgespült und gelangte dann durch den Canal Cockburn/Magdalena erneut in die Magellanstrasse, wo er in der Caleta Angosta vierzig Tage abwettern musste, bevor er seine Reise fortsetzen konnte.

 

 

 

 

 

Da hatten wir es doch friedlich! Ein bisschen mehr Wind hätte nicht geschadet.

In der Nähe des Faro Felix, wo wir uns auch wieder bei der Armada meldeten, öffnet sich gegen Süden eine Schlucht, die sich im hinteren Teil in zwei Arme aufteilt. Der westliche Teil ist dominiert von einem hundert Meter hohen Wasserfall, der von einem darüber liegenden See gespiesen wird. Schon von weitem ist dieses gleissende, silbrige Band sichtbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aber wo genau haben wir geankert?
Ob es am Regen lag?

 

 

 

 

 

 

Die ganze Nacht über erzählte er uns unermüdlich, was er hier in der Caleta Wodworth schon alles gesehen hat. Ganz in der Nähe sei Joshua Slocum von den Einheimischen mit Pfeilen beschossen worden. Herrlich, das in seinem Buch zu lesen und seine Beschreibung, wie er sich aus dieser Affäre zog. Mit solchen Geschichten im Ohr träumten wir uns friedlich durch die Nacht, wohlwissend gut verankert und nicht dem Risiko kriegslüsterner Einheimischer ausgesetzt zu sein.