Deception nach Melchior Islands
Am 20. Januar gingen wir abermals Anker auf und wieder hinaus durch Neptune’s Bellows, oder spanisch Paso Fuelles de Neptuno, mit dem Ziel Trinity Island. Dort an der Südspitze gibt es eine Bucht, die gemäss Karte eine gute Ankermöglichkeit bietet. Vorbei an Cap Wollaston hinein in den Canal Orleans fanden wir abends trotz Nebel und Schneegestöber den Eingang in die Bahia Mikkelson.
Wunderschön, von mächtigen Gletschern und hohen Bergen umgeben, lag diese Bucht vor uns. Einen günstigen Ankerplatz fanden wir aber nicht. Gemäss Karte befindet sich im Bereiche der Insel eine Untiefe, die wir auch fanden, konnten trotz mehrere Versuche den Anker aber nicht zum Halten bringen. So fuhren wir wieder hinaus Richtung Cap Murray und in die Gerlachstrasse hinein. Die ganze Nacht waren wir unterwegs. Zum Glück wird es hier auf dieser Breite nicht mehr so richtig dunkel. So konnten wir die Eisberge gut sehen und ihnen ausweichen. Eher waren es die Walfische, die uns erschreckten, wenn sie neben KAMA* ihren Blas in die Luft pusteten und mit ihren Flossen aufs Wasser schlugen. Ein unglaubliches Spektakel diese Riesen, so gross wie unser Schiff, direkt neben uns, so quasi Auge in Auge, mit sich und unserem Schiff spielen zu sehen. Einfach nur grandios. Und so wie sie gekommen sind, waren sie auch wieder verschwunden, abgetaucht in die dunklen, eiskalten Fluten, ihr Lebenselement.
Gegen Mittag erreichten wir Enterprise Island. Dort, im Puerto Svend Foyn, konnten wir an einem alten rostigen Wrack, einem ehemaligen Walfänger namens Governoren, anlegen. Das war alles, was man hier unter Puerto verstand. Das Wrack lag wahrscheinlich nicht umsonst genau hier. Immerhin erfüllte es noch einen guten Zweck als Brutstätte der vielen antarktischen Seeschwalben und uns als Anlegestelle. Bei unserer Annäherung lag ein grosser Eisberg vor dem Wrack. Langsam arbeiteten wir uns vorwärts. Katja auf dem Spitz war schon bereit mit der Leine. Plötzlich, bummh, krach machte es. Katja machte einen Satz, der sie fast auf Höhe der Mastspitze beförderte. Sie von dort oben, der Rest der Familie von hinten, schauten zu, wie dieser Eisberg unter lautem Getöse in zwei Stücke zerbrach. Uff, so unmittelbar daneben bekommt man schon noch einen Chlupf.
Das Festbinden von KAMA* an dieser Rostlaube war nicht einmal so einfach. Stefan turnte auf diesem Wrack herum, um die Leinen so anzubringen, dass sie sowohl bei Niedrig-, als auch bei Hochwasser die richtige Länge hatten, um uns sicher in Position zu halten.
Unter Seefahrern dieser Gegend entspricht dieser Platz in der Antarktis dem, was einer Marina am nächsten kommt.
In Gesellschaft der lärmig kreischenden Seeschwalben, die auf dem Wrack gäbige und geschützte Brutstätten gefunden haben, verbrachten wir längsseits dieses Wracks liegend einen schönen Tag. Bei Hochwasser hatten wir einen prächtigen Blick über die Ruine hinweg hinaus auf die Bucht und die Gerlachstrasse. Nebst einem Ausflug mit dem Dinghi startete Stefan seine ersten Versuche mit seinem neuen Spielzeug.
Nach ruhiger Nacht weckte uns Katja kurz nach Mitternacht, so kam es mir jedenfalls vor, mit Motorengeräusch. Nichts wie raus aus den Federn, warme Kleidung an und ablegen. Genug Rost und metaphysisches Gruseln. Wir gehen weiter!
Der Schlag um die Nordspitze von Esperanza, hinein in die Gerlach-Strasse, bei schönstem und ruhigem Wetter war sensationell. Majestätisch aufragende, tief verschneite und vergletscherte, im Sonnenlicht gleissende und sich in den sanften Wogen des Meeres spiegelnde Berge raubten einem glatt den Atem.
Die Stille des Wassers wurde lediglich durch die zahlreichen Walfische durchbrochen, die meist in Grüppchen zu zweien oder dreien sanft durch das Wasser glitten. Dazwischen immer wieder die Pinguine, die auf ihrer Jagd, wie kleine Torpedos oder Heugümper aus dem Wasser schossen, um gleich darauf wieder abzutauchen. Und immer wieder die Eisberge, die mit ihren skurrilen Formen und den teils gigantischen Ausmassen wieder und wieder eine hypnotische Wirkung auf uns ausübten. Wir mussten einfach immer wieder näher ran und wir mussten immer wieder Fotos schiessen.
Beim Cap Lagrange bogen wir rechts ab, um entlang der Halbinsel Hulot in den Canal Schollaert zu gelangen.
Im Schollaert Kanal
Am Ende des Kanals liegen die Melchior Inseln oder das Arrecife Normanna, unser Tagesziel. Diese Inselgruppen, West- und Ost-Melchior Inseln sind durch einen Sund getrennt. Sie wurden 1874 von einer deutschen Antarktisexpedition entdeckt. Heute sind sie beliebte Anlaufstation, wenn man über die Drakestrasse in die Antarktis reist, weil man sie von weit her sieht und bei schlechtem Wetter guten Unterschlupf finden kann. Bei nicht einmal einem Knoten Wind waren wir auf die Unterstützung unseres Motors angewiesen, um unser Ziel zu erreichen. Dank dessen gütiger Mithilfe trafen wir dafür schon am frühen Nachmittag hier ein.
Die einzelnen Inseln tragen fantasievolle, poetische Namen. Ha, ha, sie sind einfach nach dem griechischen Alphabet durchbuchstabiert. Dem französischen Namensgeber aus Brest, Vizeadmiral Jules-Bernard-François Melchior, der sie 1904 benannte, waren die Hirnzellen wohl etwas unterkühlt. Zwischen Insel Gamma und Omega fuhren wir in den Hauptsund hinein. Auf der Gamma wurde vor Jahren eine Notunterkunft errichtet. Hier könnte man im Notfall auf Hilfe warten und versuchen zu überleben.
In der dazugehörenden Bucht lag die Sarah von Vorwerk, ein Segelschiff, das Chartertörns in dieser Gegend anbietet. Die Gäste waren gerade auf Landgang und kraxelten mühsam durch Schnee und Eis einen Hügel empor. Nach einer Begrüssungsrunde fuhren wir weiter zum Anderson Harbour.
Hier führte uns der Weg gemäss Plotter wieder einmal über Land. So rammten wir zumindest nicht die Untiefen in der Bucht. Vorsicht war angesagt in dieser schlecht kartografierten Gegend. Wir wussten um die felsigen Untiefen, nur nicht, wo sie sich versteckten. Zudem war das Fahrwasser voller Eis. Zum ersten Mal benutzten wir unsere improvisierten Eisstangen, seinerzeit als Teleskopstange im Malergeschäft in Mar del Plata gekauft. Man schenkte mir dort nur ungläubige Blicke, als sie mich nach dem Verwendungszweck dieser Stange fragten. Ich versprach ihnen ein Foto. Im schmalen Kanal zwischen der Insel Eta und Omega fanden wir einen unsere angepeilte Bucht, in welcher wir ankern wollten.
Nur, ein Segelschiff aus Polen lag schon hier und versperrte mit seinen quer gespannten Leinen die Zufahrt. So machten wir eben im Kanal so häb chläb fest.
Die Polen waren hier, um zu tauchen. Abends kam noch die Pelagic Australis von Skip Novak, dem berühmtesten und erfahrensten Segler der Antarktis. Wenn die hierherkommen, können wir auch nicht so falsch sein. Sie waren unterwegs mit einer Gruppe Skifahrern. Bergtouren, die bis auf fast 3000m Höhe führen und manchmal sogar die Errichtung eines Camps erfordern. Andreas, ich glaube, das könnte Dich auch begeistern, ich werde aber unten das Boot hüten. Immerhin unternahm meine Crew von hier aus eine kleine Bergtour auf den nahen Hügel. Sie waren begeistert von der grandiosen Aussicht, die sich dort oben bot. Der Blick schweift über den ganzen Archipel.
Vorerst mussten wir aber den Ankerplatz wechseln. Ein Tiefdruckgebiet, das Windgeschwindigkeiten bis 50 kn verspricht, ist angesagt .Die Melchior Islands sind zwar dafür berühmt, dass es hier absolut ruhig bleiben kann, auch wenn es rundherum strubusset.
Das Vertrauen in unseren Anker ist nicht unbegrenzt, auch wenn wir mit unserem neuen Manson bisher sehr zufrieden waren. Starker Wind und Tidenstrom können für jedes Grundeisen zu viel werden. Wir wollen uns besser an die umliegenden Felsen klammern. Zwar hat uns der Platz hier im Kanal gefallen, gerade wegen dem Tidenstrom. Dieser hat die bewohnten Eisschollen an unserem Heim vorbeigeschoben und brachte uns interessante Begegnungen.
Wir verholen KAMA* in die kleine, nahe gelegene Bucht und binden sie dort mit vier Leinen am Ufer fest. Katja und Stefan paddelten im Gummischlauch ans Ufer, kraxelten die Felsen hoch und befestigten die Leinen.
Nicht nur ein angenehmer Job bei Regen und Schneefall. Aber beim Blick auf das Barometer fühlten wir uns so sicherer. Eine der Leinen konnten wir an unserem Nachbarschiff, der Hortense anbringen. Diese verliess uns allerdings am nächsten Morgen. Wir blieben und hatten so die ganze Bucht, das ganze Archipel für uns allein. Nur das Plätschern des Wassers beim Anschlagen an die nahen Felsen und das Kreischen der Seeschwalben waren zu hören. Hin und wieder löste sich etwas Eis vom Gletscher und donnerte ins Wasser hinunter. Pflatsch! und wir wurden von einer kleinen Welle durchgeschüttelt. Wir waren wirklich am Ende der Welt.
Wir lagen sicher und warteten auf den angesagten Sturm. Der Abend zeigte sich von seiner schönsten Seite. Die Landschaft wurde in warmes, rötliches Licht getaucht. Aber auch Nebel und Wolken kündigten sich an.
Die Melchiors erwiesen aber ihrem Ruf als Schönwetterinseln alle Ehre. Kaum ein Hauch erreichte unsere Ankerbucht und bei schönstem Wetter erklommen Margrit und Katja anderntags den nahen Hügel.
So schnell, wie das Tiefdruckgebiet gekommen ist, hat es sich auch wieder verzogen. Wir wollten die nächste ruhige Wetterphase nutzen. Noch eine Nacht, dann gehen wir weiter. Auch wenn die Melchior Islands als gutes Absprungbrett für ein Rückkehr zum südamerikanischen Kontinent gelten, so eilig hatten wir es dann doch nicht. Unser nächstes Ziel war Port Lockroy.