SPIEGLEIN, SPIEGLEIN…

Spiegel 

Wahrscheinlich hätte ich diesen Artikel schon längst geschrieben, doch ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich ihn überschreiben oder betiteln sollte.  Am einfachsten vielleicht – Golfo de Penas, schien mir aber etwas banal. Oder vielleicht, wir erreichen Nordpatagonien, einfallslos. Fortsetzung unserer Reise, zu trivial. Vieles wäre möglich gewesen. Spiegel? Das musste es sein, fuhren wir doch von Spiegel zu Spiegel. Die wunderschönen Spiegelungen im Wasser der Caleta Lamento del Indio, wie auch diejenigen in unserer nächsten Ankerbucht, der Caleta Manabranch, waren einfach zauberhaft. Wir wähnten uns wirklich in einem Spiegel. Am Golfo spiegeln sich Norden und Süden Patagoniens. Im Golfo leuchten und glänzen die Schneeberge der Anden.

Wir überzeugten uns nochmals davon, dass uns der Wettergott zur Überquerung des Golfo de Penas günstig gestimmt war und glitten dann leise durch diese spiegelglatte Bucht hinaus in den Canal Cronjé.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Name der Bucht, Lamento del Indio oder eben Inti Illimani, steht auch für eine der berühmtesten folkloristischen Musikgruppe Chiles, in deren Musik sich die Seele der Andenvölker spiegelt. Und wenn wir schon von Musik und Spiegel reden, kann Arvo Pärts Spiegel im Spiegel, zwar ohne Bezug zu Patagonien, nicht unerwähnt bleiben.

Die enge Ausfahrt in den Canal Cronjé

Mit Dieselwind erreichten wir den Canal Baker, der ebenso ruhig dalag, wie zuvor der Cronjé.

Wieder im Canal Cronjé, kurz nach der Ausfahrt

 

 

 

 

 

Verblüfft hat uns der Blick hinüber zum Puerto Francisco, jener Bucht, die wir beim Umsetzen unseres Plans B angelaufen hätten. Dicke Nebelschwaden quollen aus jener Bucht hervor und ergossen sich in den Bakerkanal. Einmal mehr war uns also das Glück hold, am Vorabend die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Canal Baker

 

 

 

 

 

 

Dicke Nebelschwaden verhüllen Puerto Francisco

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nördlicher Seitenarm des Canal Baker

Nun galt es ernst. Durch den Canal Baker gelangen wir in die Bahía Tarn, im Westen die Isla San Pedro mit dem Leuchtturm, der mit seiner Höhe von 19 m einen markanten Ansteuerungspunkt abgibt. Die Armada unterhält hier auch einen Stützpunkt. Per Funk bestätigte sie uns unsere Einschätzung, dass der Zeitpunkt zum Überqueren des Golfo günstig ist.

Bahía Tarn, Blick in den Canal Messier, rechts die Isla Wager

Dieses Glück hatten nicht alle Schiffe, die diesen Golf überquerten. Nicht umsonst heisst dieser Golf heute «Pena», was etwa mit Leid, Schmerz, Qual oder Kummer übersetzt werden könnte. Davon zeugt auch die hinter San Pedro liegende Isla Wager. Sie kam zu ihrem Namen durch das gleichnamige Schiff der britischen Kriegsflotte (18 Kanonen, 145 Mann), das 1741 an deren Küste zerschellte. Noch heute gilt die Passage des Golfes als heikel. Die Weststürme des Pazifiks bauen hier einen enormen Seegang auf. Die dabei entstehende Strömung versetzt die Schiffe zur Küste, eine klassische Legerwallsituation. Die günstigen Wetterfenster, um die fast 60 sm breite Bucht zu queren, sind jeweils nur von kurzer Dauer. Selbst die Berufsschifffahrt zeigt Respekt und verzichtet lieber auf die Einhaltung des Fahrplans, als sich unnötig der Unbill des Golfes auszusetzen. Unsere Bedenken, Sorgen oder eben Penas schienen durchaus berechtigt. Jedoch, der Golf trug diesen Namen nicht von Beginn seiner Entdeckung weg. 1557 gab Juan Ladrillero dem Golf den Namen Ensenada de Alcachofado, aufgrund der umgebenden Berge, die ihn an Artischocken erinnerten (vielleicht träumte er aber auch nur davon, nach der langen Seereise mal wieder Artischocken geniessen zu können). Aaron Arrowsmith, ein englischer Kartograf und Navigator machte später fälschlicherweise aus dem Penas den Golfo de Peñas und dieser Fehler wurde in vielen späteren Seekarten übernommen.

Artischocken?

 

 

 

 

 

 

 

Mit der Zuversicht, vor uns den Artischocken- und nicht den Sorgengolf zu haben, segelten wir durch die Bahía Tarn hinaus aufs offene Meer. Auffrischender Südostwind um 4 Bft schob uns in die gewünschte Richtung. Herrliches Segeln, herrliches Wetter. Wir fühlten uns wohl. Die prächtigen Bedingungen widerspiegelten sich in unserer Laune. Zu Beginn genossen wir noch den Blick auf die mächtigen Schneeberge der Cordillera. Hie und da ein Wal. Ich meinte sogar Moby Dick hat uns besucht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

langsam verschwinden die Berge im Abendrot

Es war tiefe, stockfinstere, mondlose Nacht, als wir die Peninsula Tres Montes mit dem Cabo Ráper erreichten. 60 m hoch über Meer thront dieser 1911 erbaute Leuchtturm auf dem windumtosten, steilen Kap, wenig einladend mit seinen im weissen Schaum an die Klippen donnernden Brecher. Wir machten einen weiten Bogen um dieses unwirtliche, im Dunkel der Nacht kaum sichtbare Kap. Im Funkkontakt mit der Armada wünschten wir uns gegenseitig eine gute Nacht, und sie wussten, dass wir den Golf heil überquert hatten. Schlafen konnten wir nicht. An dieser Küste wird viel gefischt und überall waren Netze ausgebracht, die zwar beleuchtet, aber deren genaue Lage im Dunkeln schwierig auszumachen war. Wir folgen der Küste bis wir – es war jetzt schon Mittag – in die Bahía Anna Pink einbiegen können. Anna Pink, ursprünglich ein Kohlefrachter, wurde zu Lord Anson’s Flotte abkommandiert, um die Spanier aus Südamerika zu vertreiben. Der überraschende Gegenangriff und das schlechte Wetter im Bereiche von Kap Horn zwangen die Flotte zur Flucht. Anna wurde entmastet und verlor den Kontakt zur übrigen Flotte, doch gelang es dem Schiff, sich durch das Labyrinth von Felsen, Untiefen und Inseln in eben diese Bucht zu retten. Pink hat übrigens nichts mit der Farbe zu tun, sondern bezieht sich auf den Schiffstyp, der durch das schmale Heck des Schiffes charakterisiert ist. Der frische Wind, mittlerweile bereits aus Südwest blasend, schob uns in diese Bucht hinein, den schützenden Kanälen entgegen.

Die Morgensonne als Muntermacher

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Von hinten näherte sich die unter amerikanischer Flagge fahrende Threshold. Sie hatten ein Problem mit dem Grosstuch und retteten sich in die nächste beste Bucht. Je weiter wir in die Bucht hineinkamen, desto schwächer wurde der Wind. Jetzt, im ruhigen Wasser, entdeckten wir Myriaden von kleinsten Babyhummern. Das war ein Gewimmel! Hier also war die Kinderstube dieser leckeren Kreaturen. Die wenigsten von ihnen werden wohl je auf einem Gourmetteller landen. Eher enden sie im grossen Maul eines Wals oder Delfins.

 

 

 

 

 

 

Durch die Boca Wickham, benannt nach einem Offizier auf der HMS Beagle, auf welcher Darwin die Welt bereiste, gelangten wir in den stark gewundenen, engen Canal Pulluche. Hier stand uns Strom entgegen, der unser Vorwärtskommen deutlich verzögerte. Wir waren aber so zufrieden, dass es uns egal war, umso mehr als unser Etappenziel nur noch wenige Meilen entfernt lag.

Boca Wickham

 

 

 

 

 

Canal Pulluche

 

 

 

 

 

 

 

Bei der letzten Krümmung des Pulluche bogen wir nach links ab und gelangten in die Caleta Manabranch. Vom Abendhimmel hiess uns der zunehmende Mond willkommen.

vorbei an einladenden Stränden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

hinein in die magische, inspirierende Caleta Manabranch

Wir tauchten ein in eine bezaubernde Landschaft. Die Bucht ist umgeben von einem dichten Wald voller Vögel und wohl auch anderer Tiere. Kaum sass der Anker fest und war der Motor ausgeschaltet umgab uns eine andächtige Ruhe. Nicht einmal der die Bucht überquerende Otter oder der Delfin störten diesen Frieden.

 

 

 

 

 

Und hier waren sie wieder, die unglaublichen Spiegelbilder im Wasser. Ja, es war das Spiegelbild dessen, wie wir es schon in der letzten Bucht gesehen haben. Künstlerische, beinahe unwirkliche Bilder wurden hier auf die Wasseroberfläche gezaubert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Magie des Spiegels zeigt sich auch darin, dass man hindurchschauen kann. Fantastisch, hier im Wasser tummelten sich wieder hunderte von jungen Hummern. Sie waren deutlich grösser, als wie wir sie am Nachmittag in der Bahía Anna Pink sahen. Es waren die Teenies, die hier Party feiern. Eines dieser Tiere nahmen wir in einem Kübel an Bord. So konnten wir es genau ansehen. Nein, auch diese Lebewesen landeten nicht in der Pfanne. Wir freuten uns und vor allem, es freute sich wieder unter Seinesgleichen in der Freiheit zu sein.

 

 

 

 

 

Die Wasseroberfläche, die als Spiegel wirkt, birgt auch das Risiko sich darin selbst wahr zu nehmen. Plötzlich ist man mit dem eigenen Du/Ich, seiner Identität konfrontiert. Man schaut sich ins eigene Antlitz, zumindest erwartet man, sich wiederzuerkennen, heute das Gesicht von gestern zu finden. Dabei hat die Zeit Falten und Flecken in eben dieses eigene Gesicht gemalt. Das Ich bringt die Zeit in den Spiegel. Plötzlich braucht es Mut, weil man gezwungen wird, sich mit der eigenen Identität auseinander zu setzen, und unweigerlich beginnt ein Zwiegespräch. Und genau so, wie man durch die spiegelnde Wasseroberfläche hindurch das Gewusel der jungen Hummer realisiert, genau so beginnt man durch das eigene Bild hindurchzuschauen und steht plötzlich vor seinem inneren Spiegel. Aber lassen wir das, philosophieren ist nicht das Thema dieser Webseite. Jetzt zwar etwas aufgekratzt, in dieser bezaubernden Umgebung werden wir den Schlaf der Gerechten (oder Widerspiegelten) schlafen.

 

Hier noch eines der Spiegelgedichte von Hilde Domin:

IDENTITÄT

Wer will nicht im Spiegel                                                                                                           heute                                                                                                                                 das Gesicht von gestern sehen.                                                                                                   Wie beständig die vergänglichen Dinge,                                                                                       eine Mütze oder eine Uhr,                                                                                                         die du wiedererkennst.                                                                                                             Du musst es sein, die diese Mütze trägt,                                                                                       und wirklich, du bists,                                                                                                               Du findest dich wieder                                                                                                             an der Farbe                                                                                                                         einer Baskenmütze.                                                                                                                                              (geschrieben im spanischen Exil)