NACH PUYUHUAPI

Nach Puyuhuapi

Ein prächtiger Morgen verkündete einen wunderbaren Tag. Kein Hauch bewegte das Wasser und es lag wieder wie ein Spiegel vor uns. Selbst die uns umgebende Stille und Ruhe dieses Morgens spiegelten sich buchstäblich im Wasser.

Beim Blick ins Wasser musste man gezwungenermassen auch an Narziss, diesen bedauernswerten Jüngling denken, der gemäss der Erzählung Ovids, von den Göttern mit unstillbarer Selbstliebe gestraft wurde. Er verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild, das er im ruhigen Wasser einer Quelle erblickt. Den Rest seines Lebens litt er unter dieser unersättlichen Liebe. Wohlwissend einer Täuschung zu erliegen, kann er sich nicht von diesem Bild, diesem Idealselbst, abwenden und stirbt, sich im Tod in eine Narzisse zu verwandelnd. Narzissten weisen oft überaus liebenswerte Seiten auf, können interessant, ausgesprochen charmant und liebenswürdig sein, durch ihren extremen Ehrgeiz und Machtstreben sich aber zu äusserst unerträglichen Mitmenschen entwickeln. Bevor wir endgültig demselben Schicksal erliegen wie Narziss, lichten wir schleunigst unseren Anker und verlassen möglichst unauffällig, ja beinahe andächtig diese wohltuende Bucht, die uns im Innern ganz ruhig werden liess (doch Narzissmus?). Kein unnötiges Geräusch, keine unnötige Welle sollen diese Ruhe, diesen Frieden stören. Übrigens, in der Psychologie gilt Narzissmus als Selbstschutz, den wir alle anwenden, reine Frage des Ausmasses.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

War wohl Zeit diese Bucht zu verlassen!

Wir folgen dem Canal Pulluche weiter Richtung Osten und gelangen so in den Canal Chacabuco. Anstatt aber an dessen Ende nach Norden in den Canal Erràzuriz abzubiegen, um rasch möglichst unser Endziel zu erreichen, nehmen wir den Weg durch den Paso Tres Cruces.

Canal Chacabuco, nicht Neuenburgersee

 

 

 

 

 

Hier sichten wir das erste Mal eine Fischfarm in chilenischen Gewässern. Südlich des Golfo de Penas sind wir nie einer solchen Farm begegnet. Nördlich des Golfo scheinen auch diesbezüglich andere, günstigere Bedingungen zu herrschen. Wahrscheinlich ist es aber einfach ein Frage der näher liegenden Infrastruktur.

Im Paso frischt der Wind auf. Gletschergekühlte Luft aus dem Estéro Elefantes streicht uns mit satten fünf Beaufort um die Nase. Dieser Wind beschert uns herrliches Segeln durch die weisse Gischt hinein in den Canal Costa. Doch schon bald müssen wir die Segel bergen, um nach der Punta Lynch in die Caleta einzufahren.

 

 

 

 

 

Durch eine schmale Durchfahrt gelangt man vom äusseren Becken in das innere, in welchem man, geschützt durch den dichten Wald, absolut ruhig liegt. Hier spürt man nichts mehr vom frischen Wind, der uns im Canal noch auf Trab hielt.

Caleta Punta Lynch

 

 

 

 

 

Anderntags verliessen wir schon früh die Caleta Punta Lynch, schoben uns durch das äussere Becken wieder hinaus in den Canal Costa.

Der gestrige Wind hat sich leider gelegt. War es nur Thermik? Hier hatte es ein wenig Verkehr, meist kleine Ausflugschiffe, die von Aysén bzw Chacabuco herkommend mit ihren Gästen den San Rafael-Gletscher besuchen. Es ging hinauf bis zum Canal Pilcomayo. Wir liessen also nicht nur den Golfo Elefantes, sondern auch den Seno Aysén aus. Eigentlich schade, wären auch diese interessanten Orte durchaus einen Besuch wert gewesen. Alles konnten wir beim besten Willen nicht besuchen.

Blick zurück zum Golfo Elefantes
Wir freuten uns an den schönen Blumen, mit denen Katja KAMA* schmückte.

 

 

 

 

 

 

 

Der Himmel hingegen machte eher einen zwiespältigen Eindruck.

 

 

 

 

 

 

Cerrro San Valentin, 4’058m

 

 

 

 

 

Angekommen bei der Peninsula Elisa ankerten wir in der Caleta Rosita wie gewöhnlich mit Ankerball, konnten aber dank der grosszügig bemessenen Bucht endlich wieder einmal auf Landleinen verzichten. Zu unserer Überraschung waren wir nicht die Ersten in dieser Bucht. Ein tschechisches Segelboot war schon hier. Die freundlichen Leute, ein Ehepaar mit Kind und Hund luden uns ein zum Strand, wo sie schon ein Feuer entfacht hatten. Nach einem angeregten, sprachlich leicht behinderten Abend (dobre, dobre) kehrten wir auf KAMA* zurück, um uns den wohlig angenehmen Kojen hinzugeben.

Es war wenig nach Mitternacht, als wir spürten, wie ein sanfter Ruck durch unser Schiff ging. Aufgeschreckt stiegen wir an Deck und schauten nach. Tatsächlich, was ich immer versprochen habe, ist eingetroffen. Eines der kleinen Ausflugschiffe hat an unserer Ankerboje festgemacht. Praktisch, hätte ich aber allenfalls einem Amerikaner zugemutet, nicht einem Lokalen, der eigentlich weiss, dass es hier keine Bojen gibt. Wir nehmen es gelassen, wohlwissend, dass wir einen guten Anker haben und hauen uns wieder aufs Ohr. Die Boje ist mir jedoch immer noch heilig, seit ich in Brasilien einen Anker verloren habe.

Nach leicht gestörter Nachtruhe, immer noch etwas kopfschüttelnd, setzen wir unsere Reise Richtung Norden fort.

 

 

 

 

 

Wir gelangen in den Canal Ferronave mit der Isla Huichas im Westen, auf welcher sich Puerto Aguirre befindet, eine Ortschaft mit rund 1’200 Einwohnern. Sie ernähren sich hauptschlich vom Fischfang. Eine Konservenfabrik bietet auch einige Arbeitsplätze. Für den Notfall steht eine Flugverbindung nach Puerto Aysén zur Verfügung. Uns verbinden mit dieser Ortschaft lediglich das Telefon und das Internet, das wir für einen kurzen Moment empfangen, während wir hier vorbeiziehen.

Puerto Aguirre

Wie schon so oft hat Katja mal wieder eine Idee. Statt endlich dem Canal Moraleda zu folgen, schlägt sie vor, einen Abstecher nach Puyuhuapi zu unternehmen. Gesagt, gewendet. Vor der Isla Orestes ziehen wir nach Osten in den Canal Ñancul hinein. So unscheinbar, wie er sich auf der Karte präsentierte, stellte er uns doch vor eine ungewohnte Herausforderung. Der ganze Kanal war mit Fischzuchten übersät. War da überhaupt ein Durchkommen? Wir mussten ein paar Haken schlagen, gelangten schliesslich ans andere Ende, wo wir von ein paar Walen empfangen wurden.

Isla San Andres markiert den Eingang in den Canal Puyuhuapi, der dort nach Osten (rechts) abgeht.

Das Wetter zeigte sich von der rauen Seite, als wir schliesslich in den Canal Puyuhuapi einbogen. Das gestrige Bild der Sonne hat nicht getäuscht. Wir treffen hier auf erstaunlich viel Zivilisation. Die Ufer sind gesäumt mit Fischfarmen. Der Wind schiebt uns den Kanal hinauf.

Puerto Amparo

 

 

 

 

 

Canal Puyuhuapi

Der Zeitpunkt stimmt, gegen Abend sind wir vor der von uns angepeilten Bucht Morrás oder Caleta Amparo Grande. Nur, so grandios, wie der Name verspricht, ist dieser Seno nicht. Wir fanden keinen anständigen Platz, der uns behagt hätte, um die Nacht zu verbringen. Also weiter zur nächsten Bucht, die gleich um die Ecke liegt, zwar den wenig versprechenden Namen Amparo chico (der kleine Schutz) trägt und die Salmoneras schon auf der Karte verzeichnet sind. Dennoch fanden wir nach einigem Werweissen einen annehmbaren Platz hinter einer abgetakelten Farm, um die Nacht zu verbringen.

Caleta Oro verde

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unter dem Regen mutete das Ganze etwas gruselig an, aber eigentlich passend zur ganzen Problematik der chilenischen Fischzucht, die fast vollständig in norwegischer Hand ist. Der Lachs ist neben Kupfer das wichtigste Exportgurt von Chile. Letztes Jahr wurden in den Fjorden 830’000 Tonnen Lachs gezüchtet, und es soll immer noch mehr werden. Das ist nur möglich dank exzessiver Bewirtschaftung. Die Lachse haben in ihren engen Käfigen kaum Platz, um sich zu bewegen, sind sehr krankheitsanfällig und werden deshalb mit massenhaft Antibiotika und Wurmmitteln vollgestopft, d.h. sie erhalten die 700-fache der in Norwegen für ihre Artgenossen erlaubten Dosis. Gefüttert werden diese Kreaturen mit Fischmehl, das aus den lokal gefangenen Fischen, Muscheln und Krebsen hergestellt wird. Um eine Tonne Lachs zu «ernten» muss diese vorerst mit drei bis fünf Tonnen Fischmehl gefüttert werden. Nachhaltigkeit stellt man sich nicht so vor. Die Züchter erachten es zudem als grossen Erfolg, dass nur jeder achte Lachs im Rahmen der Zucht verendet. All diese Substanzen, Futter, die toten Fische Antibiotika und andere Chemikalien, wie Antifoulings, die benützt werden um die Käfige sauber zu halten, genauso wie die Fäkalien der Fische sinken auf den Meeresboden, bilden dort eine meterhohe Fäulnispampe, die sich mit den Strömungen entlang der Küste verteilt. Das führt zu Algenwachstum (die giftige marea roja) und Sauerstoffarmut, welche das ökologische Gleichgewicht zerstört, damit auch die Lebensgrundlage der einheimischen Fischer. Chile zählt über Tausend Farmen und es sollen immer noch mehr werden. Bewilligt wurden jetzt auch Farmen ganz im Süden Patagoniens, in den Naturschutzgebieten entlang dem Beagle-Kanal. 98% des Lachses werden exportiert. Den Einheimischen bleibt der Frust über die miserablen und gefährlichen Arbeitsbedingungen, der Umweltzerstörung und den Verlust ihrer Lebensgrundlage. Letzteres wird ganz besonders für die indigenen Völker im Süden zum Tragen kommen. Um es klar zu stellen: ich bin Mitglied weder bei Greenpeace noch WWF, auch nicht Gewerkschafter. Aber wenn man stunden- und tagelang an diesen Farmen, die teils auch einfach aufgegeben wurden, weil sie zu vergiftet sind, vorbeizieht, macht man sich schon Gedanken. Danke an diejenigen, die versuchen, uns immer wieder aufzurütteln.

Am nächsten Tag präsentiert sich das Wetter freundlicher. Wir verlassen unsere kleine Schutzbucht, auch Caleta Oro verde genannt.

 

 

 

 

 

Mit gütiger Beihilfe des grünen Volvo-Segels ziehen wir weiter entlang der Isla Magdalena (wie geht es wohl Madeleine und ihrer Familie?), vorbei an Puerto Cisnes zum Paso Sibbald. Ab hier heisst der Puyuhuapi Seno Ventisquero. Der Paso Galvarino, den es noch zu durchfahren gilt, neigt zum Verlanden. Man hält sich daher besser westlich entlang der Seite der steilen Felswände, wo allerdings auch die Strömung stärker ist.

Im Paso Galvarino
Schwäne mit schwarzem Hals
angekommen!

 

 

 

 

 

Übrigens war Galvarino ein Freiheitskämpfer. Im Araucanischen Krieg vor 500 Jahren wurde er von den Spaniern misshandelt. Beide Hände wurden ihm abgehackt. Er ersetzte sie durch Messer. Galvarino, the Mapuche Warrior with knives for hands. Er war und ist heute noch so etwas wie ein Wilhelm Tell oder Winkelried. Am 30. Nov. 1557 führte er sein Volk in eine Schlacht gegen die Spanier, mit dem besseren Ende für die Eroberer. An die 3000 Mapuchos wurden niedergemetzelt.

Schon am frühen Nachmittag erreichen wir Puyuhuapi. Unglaublich, es gibt hier eine Marina, Fingerstege mit Wasser und Strom. Zudem hatten wir die Qual der Wahl. Die meisten Plätze waren unbesetzt und niemand, der uns eingewiesen hätte. Seit langem wieder einmal manövrieren und KAMA* an einem Steg anbinden und einfach vom Schiff steigen können und trockenen Fusses an Land gelangen. War das ungewohnt!

Die Marina mit dem Clubhaus

Es scheint nicht ganz klar, woher der Name Puyuhuapi kommt. Es ist das Land der Puyes-indios, tierra de los indios Puyes. Wapi (huapi) ist im Mapudungung Insel. Für Puye gibt es in dieser Sprache mindestens drei Erklärungen. Poyes sind die Früchte einer Pflanze, die Chupón genannt wird. Puye ist ein Fisch und aus dem Mapudungung oder eben Mapuche stammt der Ausdruck Püllü, was Geist bedeuten soll. Die Interpretation ist also uns überlassen. Was auch immer der Name bedeuten mag, heute leben in dieser Ortschaft etwa 1’000 Einwohner. Durch die Carretera austral, einer abenteuerlichen Strasse, ist sie mit dem übrigen Land, insbesondere Puerto Montt verbunden. Es gibt sogar eine reguläre Buslinie. Die Geschichte des Ortes ist eng mit vier deutschen Auswanderern verbunden, die sich 1935 hier in dieser entfernten, unberührten Ecke niederliessen. Es folgten ihnen weitere Familien, bis die Immigration durch den Weltkrieg unterbrochen wurde. Kurz darnach liess sich hier Walter Hopperdietzel, ein Textilingenieur nieder und gründete eine Teppichfabrik, die noch heute in Betrieb ist und besichtigt werden kann. Die Prosperität dieser Siedler erlaubte es, mit eigenen Mitteln eine Strasse zu bauen und sich so den Anschluss an das Land zu gewährleisten, mit ein Grund, warum die Zentralregierung beschloss, die Carretera austral doch hier durchzuführen. Warum ich dies alles erzähle? Nicht weil wir uns einer Besichtigungstour der Teppichfabrik anschlossen, sondern weil ich mich über den Namen des lokalen Biers wunderte, das hier Hopperdietzel heisst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachmittags unternahmen die beiden Frauen eine Wanderung und erkundeten Dorf und Umgebung. Ihr Weg führte sie auf die umliegenden Hügel, von wo sie die grandiose Aussicht über den Seno Ventisquero genossen.

Seno Ventisquero

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Abend wollten wir noch unsere Liegegebühren bezahlen. Das war gar nicht so einfach. Im riesigen Clubhaus, das offen stand, war kein Mensch. Niemand hätte sich daran gestört, wenn wir dort eingezogen wären. Die grosszügigen Schlafräume mit den komfortablen Duschen hätten uns schon noch gepasst. Nirgends fand sich ein Hinweis, wer für die Anlage verantwortlich ist, noch wie wir unsere Schulden bezahlen könnten. Wir mussten uns durchfragen. Dabei kamen uns unsere exzellenten Sprachkenntnisse zugute. Wir fanden dann aber eine Madame, die unser Geld freudig entgegennahm. Das Geld, das uns übrigblieb, verwendeten wir, um das feine Nachtessen in einem der Restaurants zu bezahlen. Es war schon dunkle Nacht, als wir auf KAMA* zurückkehrten. Keine Frage, in Gesellschaft von Herr Hopperdietzel schliefen wir gut.