Zwei weitere, interessante Buchten
Der heutige Morgen begann so, wie sich der gestrige Tag verabschiedet hat. Prächtiges Morgenrot überzog den Himmel und die Berge erstrahlten im frischen Licht der aufgehenden Sonne. Zeitig lösten wir die Leinen und fuhren hinaus in den Seno Ventisquero. Morgenrot Schlechtwetterbot. Diese Wetterregel, die ich trotz mehrfacher Erklärungen namhafter Meteorologen nie richtig begriffen habe, schien sich zumindest für den Moment nicht zu bewahrheiten. Da gefiel mir der Spruch meiner Mutter – Morgerot troches Brot – doch einiges besser. Die Fortsetzung dieser Regel – Abigrot nasses Brot – konnte ja noch etwas warten. Wahrscheinlich haben beide Regeln ihre Tücken. Jedenfalls freuten wir uns an dem prächtigen Morgen und glitten durch das ruhige Wasser zurück durch den Paso Galvarino in den Canal Puyuhuapi.
Die Luft war klar und rein. Gestochen scharf hoben sich die umgebenden Berge und Firne vom praktisch wolkenlosen Himmel ab. Es hätte nicht schöner sein können. Die Delfine gaben uns ihr Geleit und verabschiedeten uns gebührend. Das waren die einzigen Geschöpfe, denen wir begegneten.
Im Canal Puyuhuapi
Im Puyuhuapi wendeten wir uns gegen Westen und fuhren in den Canal Jacaf hinein.
Der Kanal schlängelt sich durch eine beidseits dicht bewaldete Schlucht mit hoch- und steilaufragenden Berghängen, von denen sich die Wasser ins Meer stürzen.
Der Paso Sibbald mit seinem hakenförmigen Verlauf ist eine erste Engstelle. Genau hier hatten wir eine erste Begegnung mit einem entgegenkommenden, kleinen Frachter, der Isla Maillen, eine kleine Herausforderung. Wir freuten uns jedoch gegenseitig, gab es doch ein Gefühl, nicht allein in dieser Welt zu sein. Die Isla Maillen, Namensgeberin des kleinen Frachters liegt in der Ansteuerung von Puerto Montt. So nahmen wir diese Begegnung als gutes Omen für unsere Weiterreise. Zudem zeigte uns der Frachter, dass es möglich ist westlich der Islote Carlos und dem Roca Orestes vorbeizufahren und nicht dem bezeichneten Schifffahrtsweg um die Insel herum folgen zu müssen. Eine kleine Abkürzung, die uns direkt in den Paso Ancho, den Breiten, führte, wo also wieder etwas mehr Platz vorhanden war, um zu navigieren.
Wir geniessen die Fahrt durch diesen schönen, faszinierenden Kanal.
Es lohnt sich auch, hin und wieder einen Blick zurück zu werfen.
Im Norden erhebt sich der 2440 m hohe Cerro Melimoyu, ein Schichtvulkan. Er weist zwei Krater auf, die einen Durchmesser von 8, respektive 1 km aufweisen. Heute sind diese Krater mit Eis und nicht mit glühender Lava gefüllt. Der letzte Ausbruch liegt schon 1800 Jahre zurück, ein früherer bereits 2800 Jahre. Trotzdem gilt er immer noch als aktiv. Tatsächlich befinden wir uns in einer seismologisch unruhigen Gegend mit zahlreichen, auch aktiven Vulkanen.
Auch wenn wir jetzt schon mit der Isla Maillen ersten Kontakt geschlossen hatten, so eilig hatten wir es dann auch wieder nicht, dorthin zu gelangen. Es müsste nicht Katja sein, die uns einmal mehr, dem schönen Wetter zuliebe, einen weiteren Umweg vorschlug. Wir passierten die Isla Guardiamarina Zanartu und bogen dann kurz entschlossen in den Canal Salquemàn ein.
Die Chilenen erklären diesen Kanal in ihren nautischen Unterlagen zwar als offensichtlich tief, was aber nicht wirklich überprüft sei. Wir wussten aber, dass dieser Abschnitt von einem anderen Segler ohne gröbere Probleme befahren wurde. Vorsicht war aber alleweil angebracht, umso mehr als hier überall kleine Inselchen und Steinhaufen im Wege lagen.
Dies galt auch für den Canal Frödden, der uns wieder nach Norden zum Jacaf brachte. Nachdem wir diesen überquert hatten, gelangten wir in den mit Lachszuchten übersäten Seno Gala. Fast zuhinterst befindet sich auf der Ostseite die Caleta Poza de Oro, ein wunderschönes, natürliches Hafenbecken. Die Einfahrt liegt nördlich der kleinen Insel Salvo und ist überraschend eng. Nachdem wir uns da durchgequetscht hatten, gelangten wir in ein grosszügiges Becken, in welchem wir mittendrin den Anker fallen lassen konnten. Eine Leinenverbindung zum Land war nicht nötig, bequemer Luxus.
Das Interessante an diesem Platz war die Tatsache, dass es landeinwärts nochmals eine solche Bucht oder Lagune gab, die über einen kleinen Bach mit der äusseren verbunden war. Bei Hochwasser kann man dieses Rinnsal mit dem Dingi befahren. Also nichts wie los, Beiboot runter und ab auf Entdeckungstour.
In weiser Voraussicht haben wir den Motor nicht montiert, da eben Niedrigwasser war, rudern war angesagt. Katja, unser Fitnesscoach, war natürlich prädestiniert für diesen Job. Sie führte uns durch diesen schmalen, untiefen Kanal. Mit gekonnten Ruderschlägen, stets die ablaufende Strömung berücksichtigend, umschiffte sie die im Wege liegenden, rundgeschliffenen Felsblöcke.
Das Ufer war gesäumt von einem lauschigen Wald. Über unseren Köpfen sassen die Eisvögel (Martin pescador) auf den Ästen der Bäume, stets bereit sich ins Wasser zu stürzen, um sich einen leckeren Fisch zu holen.
Die innere Lagune bekamen wir nie zu Gesicht. Immer mehr Wasser lief davon und wir mussten umkehren, wollten wir vermeiden unseren Gummischlauch zurückzutragen. Aber es war schön, eine erfrischende Abwechslung zum Bordleben und hat Spass gemacht.
Wieder prächtiges Wetter, als wir am nächsten Morgen durch den Seno Gala hinausfuhren.
Plötzlich kommt Bewegung ins Wasser. Von hinten nähern sich wieder Delfine und geleiten uns aus der Bucht. Herrlich, wie sie uns mit ihren kraftvollen Sprüngen zu begeistern vermögen.
Vorbei an den zahlreichen Fischfarmen und der am Eingang liegenden Inselgruppe mit den Inseln Harry, Rudy (wie geht’s wohl unseren Ruedis auf dem Murtensee, mit Valentino auf dem Vully oder hoch über Aarau?), Chita, Toto, Guaiano etc. erreichen wir die Weite des Canal Moraleda und blicken hinüber bis in den Archipélago de los Chonos und Guaitecas.
Heute, selbst Katja zauberte keine Alternative aus dem Ärmel, mussten wir ein Stück weit die Hauptstrasse, den Canal Moraleda benutzen, jedoch nicht für lange. Vorbei an der Isla del Baranco schoben wir uns in den Canal Refugio, der vom Namen her viel Schutz versprach, den wir – wie vorstehende Bilder zeigen – gar nicht benötigten. Schön war es aber alleweil. Die sonnenbeschienen Bergflanken strahlten eine wohltuende Wärme aus. Das Wasser war flach, der Tidenstrom gering.
Die Passage durch diesen Kanal bot uns faszienierende Einblicke in eine noch einigermassen intakte Natur, die sich durch unsere Anwesenheit nicht stören liess.
Aber hallo, da vorne, was ist denn das? Je näher wir dem Ausgang zur Rada del Palena gelangten, konnten wir beobachten, wie sich pottendichter Nebel vom Tal des Rio Piti- oder Buto-Paleno herkommend, aufs Meer hinausschob. Ja, und hier wollten, mussten wir durch. Waren wir also doch richtig im Canal Refugio?
Wir verlangsamten unser Tempo in der Hoffnung, dass die stärker werdende Morgensonne diesen Nebel verbrennt. Tatsächlich, überall dort, wo wir uns befanden, verzog sich der Nebel oder wandelte sich in harmlosen Dunst.
Praktisch unbehelligt überquerten wir die Rada, die ihren Namen dem italienischen Jesuiten, Nicolas Mascardi, geboren in den Abruzzen im Dorf Palena, verdankt, der als erster Europäer diese Gewässer von Chiloé aus befuhr und insbesondere dem Fluss hoch ins Landesinnere folgte. Insgesamt unternahm er vier Expeditionen auf der Suche nach der sagenumwobenen Stadt los Cesares. Seine Unternehmungen brachten ihn fast bis zur Magellanstrasse. 1673 wurde er von Tehuelcheindianern umgebracht.
Wir gelangten in die Bahía TicToc. Die hinter uns liegende Nebelbank war nur noch ein schleierhafter Dunststreifen. Schon eindrücklich, wie sich die von den Höhen und Gletschern herabströmende Kaltluft in den Tälern sammelt, von dort aufs Meer herausgedrückt wird und diesen grässlichen Nebel bildet. Wir konnten dieses Phänomen hier jetzt schon zum zweiten Mal beobachten.
Gleiche oder ähnliche Phänomene der Nebelbildung lassen sich ja auch an anderen Küstenstreifen beobachten. Konkret denke ich da an die Strasse von Gibraltar, wo kalte Atlantikluft über das warme Mittelmeerwasser streicht und so auch dort bei schönstem Wetter gefährliche Nebelbänke bildet. Andere Beispiele sind Norwegen, Kanada oder auch die Bucht von San Francisco. Das kann buchstäblich ins Auge gehen, wenn man von solchen Nebeln überrascht wird und nichts mehr sieht. Da müssten wir uns dann schon wieder einmal auf unser Radargerät besinnen. Die Bahía Tictoc mit ihren zahlreichen Inseln, Inselchen und unmotiviert im Wege liegenden Felsklötzen nur mit Radarsicht zu durchqueren, hätte schon noch Stimmung an Bord gebracht.
Nun, wir brauchten nicht nach Alternativen zu suchen, sondern konnten den von uns ausgewählten Ankerplatz Puerto Juan Yates ohne Sichtbehinderung ansteuern. Es lag nicht am Nebel, dass wir zum Schluss das Ankermanöver zweimal fahren mussten. Der Skipper weist einfach immer noch Verbesserungspotential auf.
Der Name der Bucht geht auf einen Lobero, also einen Seehundjäger aus Chiloé zurück. Nicht erstaunlich, dass gerade diese Bucht nach ihm benannt wurde, ist sie doch ein fantastisches, kleines Rückzugsgebiet zahlreicher Tierarten, wie Pinguine, Enten, Kormorane, Delfine etc. Bei Sonnenuntergang beobachteten wir auf der nahen Insel Pino eine Pinguinprozession auf dem Weg zu ihrem Schlafplatz. Ein Heidenspektakel! Vom Lärm her, den sie vollführten, wären sie glatt als Eselspinguine durchgegangen, die es aber hier – so glaubte ich – gar nicht geben dürfte? Dieses eindrückliche, unvergessliche, typische Iahen war aber eindeutig. Auch ihre Grösse passte. Sie sind die drittgrösste Pinguinart, mit einer Schwimmgeschwindigkeit von bis zu berichteten 36 km/h, die schnellsten ihrer Gattung, richtige Torpedos. Tatsächlich findet man solch Irrgäste bis 43° S entlang der Südamerikanischen Küste. Ihr Hauptverbreitungsgebiet befindet sich vor allem auf den Falklands, anderen subantarktischen Inseln und der Antarktis, wobei sie die Kompakteiszonen meiden. An Land haben sie keine Fressfeinde. Am Ufer lauerte ein kleiner Reiher (garza bruja, black-crowned night-heron, nycticorax nycticorax) auf einen Leckerbissen und im Wasser tat sich bereits der Otter an einem Fisch gütlich und beobachtete interessiert die Neuankömmlinge.
Und langsam legte sich die Nacht über unseren Platz. Der nahe Wald war erfüllt vom Vogelgezwitscher, das mit der einbrechenden Dunkelheit verstummte und uns schlafen liess.
Vermisst haben wir den lagenorhynchos, eine hier heimische Delfinart, Kurzschnauzendelfine, die sich aber während unserem zwei Tage dauernden Aufenthalt nie zeigten. Dafür zeigten sich am nächsten Tag dunkle Wolken, die von den hohen Bergen stürzten, Wind im Gepäck hatten und das Wasser unruhig werden liessen. Bei diesen Bedingungen und Aussichten den Golf von Corcovado zu überqueren entsprach nicht unseren Vorstellungen.
Stattdessen unternahmen Margrit und Katja eine Dingitour, diesmal mit Motor, die sie um die umliegenden Inseln herumführte. Gebeutelt, nass, aber total zufrieden kehrten sie nach ein paar Stunden zu KAMA* zurück.
War jetzt Morgenrot oder Abendrot Vorbote dieser meteorologischen Episode? Meteorologisch Gebildete mögen mir doch bitte einmal auf die Sprünge helfen, wie das so ist mit diesen Rot. So schnell und häufig, wie das Wetter hier wechselt vielleicht beide. Ganz sicher waren aber die zahlreichen Cirren und Kondensstreifen am gestrigen Himmel ein zuverlässiges Zeichen einer Wetterverschlechterung.
Unser Ankerplatz war gut gelegen. Die dunklen Wolken brachten uns weder in Verlegenheit noch um unseren Schlaf.