Puerto Montt, Stadt, Umgebung und Abschied
Gegründet 1853 war diese Stadt Zentrum der deutschen Einwanderer. Der Name geht zurück auf den chilenischen Politiker und Präsidenten Manuel Montt, Impulsgeber für die Kolonisation dieser Gegend, wo vorher die indigene Bevölkerung von Melipulli die dichten Wälder bewirtschaftete. Dieser Industriezweig wurde verdrängt, als vor etwas mehr als hundert Jahren die ersten Lachse nach Chile eingeführt wurden. Als seit Mitte der 80iger Jahre die Zucht in überfluteten Käfigen aufkam, entwickelte sich Chile zum zweitgrössten Lachsproduzenten weltweit mit Puerto Montt als Zentrum der Zucht- und Exportindustrie mit Tausenden von Arbeitsplätzen. Die Zukunft versprach goldene Zeiten, doch dann brach 2005 die Industrie schlagartig ein, als sich in den Fischpopulationen eine tödliche Viruserkrankung breit machte und gleichzeitig die Welt von der grossen Rezession erschüttert wurde. Die jährliche Lachsmenge sank von 400’000 t auf noch 100’000 t und in Puerto Montt gingen neben 5 Mrd. US$ über 26’000 Arbeitsplätze verloren. Auch viele von der Lachsindustrie abhängige Sekundärunternehmen gingen bankrott. Heute scheint die Krise ausgestanden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass zur «Gesunderhaltung» der Fische eine jährliche Menge von an die 50’000 kg Antibiotika benötigt werden, darunter Chinolone, welche beim Menschen für Spezialfälle reserviert sind. Das scheint dem Appetit der Japaner, Brasilianer und Amerikaner, den Hauptabnehmern des chilenischen Lachses keinen Abbruch zu tun. Qualitätslachs wird hauptsächlich exportiert. Findet man im chilenischen Restaurant Lachs auf der Speisekarte, handelt es sich um höchstens zweite, nicht exportfähige Qualität oder um Wildlachs, d.h. um einen Fisch der aus der Zuchtanstalt entwichen und wieder eingefangen wurde. Nicht verwunderlich, dass nach all diesen dramatischen Jahren Puerto Montt von seinen etwas mehr als 200’000 Einwohnern gerne auch Muerto Montt genannt wird. Für uns sah das ganz anders aus. Wir waren wieder einmal in einer richtigen Stadt mit Einkaufszentren, Restaurants, Internet, Verkehrsverbindungen etc. Nach Wochen der Einsamkeit waren wir überwältigt vom Angebot, das uns die Stadt offerierte. Neben Dingen fürs tägliche Leben waren auch solche für unsere KAMA* erhältlich. Auch wenn das Angebot im Vergleich zu anderen Orten immer noch spärlich war, uns erschien es paradiesisch. Die meiste Zeit verbrachte ich aber in den topmodernen, grosszügigen Büros der Telefongesellschaft mit dem vielen Personal. Meine mit dem persönlichen Code der netten Verkäuferin in Puerto Williams ausgestattete SIM-Karte wollte und wollte hier nicht richtig funktionieren. Immer wieder ging ich zurück. Man gab sich alle Mühe, doch mein zu altes, zu europäisches Telefon konnte nicht dazu bewegt werden, befriedigend zu funktionieren.
Die zahlreichen Busfahrten von der Marina in die Stadt waren jedes Mal ein Erlebnis, wenn auch anstrengend. Einerseits musste man sich wegen des ruppigen Fahrstils und der löchrigen Strassen in alle Richtungen verkeilen, wollte man nicht riskieren durch den ganzen Bus geschleudert zu werden, anderseits waren da die geistig herausfordernden Unterhaltungen mit den wissbegierigen und redseligen Fahrgästen und selbst dem Chauffeur. Die Fahrt entlang dem Canal Tenglo, durch die abgasgeschwängerte Avenida Angelmó mit den vielen Strassenständen voller Kunsthandwerk und kulinarischen Angeboten, wie geräucherten Muscheln und cochayuyo, der essbaren Alge und sonstigem Krimskrams und vielen Restaurants war unterhaltsam. Entlang der Costanero öffnete sich der Blick in den Seno Reloncaví, wo die Kreuzfahrtschiffe verankert lagen. Stieg man dann im Stadtzentrum aus, wurde man vom hektischen Strudel förmlich mitgerissen, keine Spur von muerto, toter Stadt. Neben viel Luxus und noblen Einkaufszentren begegnete man – nicht verwunderlich – auch immer wieder den Spuren grosser Armut. Kriminalität, angeblich ein grosses Problem in dieser Stadt, haben wir glücklicherweise nie erfahren. Die Polizei ist omnipräsent, scheint aber zu den vielen auf der Strasse lebenden Menschen einen guten Draht gefunden zu haben und hält sich im Hintergrund.
In unserer Marina OXXEAN waren wir wohl. Unser Platz bot einen schönen Blick über den Canal zur gegenüberliegenden Isla Tenglo mit seiner, durch eine kleine Fähre verbundene Siedlung. Der Steg, an dem wir KAMA* anbinden konnten, war für das Schiffsgewicht solide genug, was hier keine Selbstverständlichkeit ist. Das Personal war hilfsbereit, die Duschen sauber und lieferten warmes Wasser, wenn man dann endlich begriffen hat, wie’s funktioniert. Gleich oben an der Strasse war die Bushaltestelle mit der Verbindung ins Stadtzentrum. Trotz der in der Nähe liegenden Werften war es ruhig. Nachts schlief im Büro der Sicherheitsdienst, um den Zugang zu kontrollieren.
Einer der ersten Programmpunkte auf unserer To-do-Liste in Puerto Montt betraf die überfällige Wartung unserer Rettungsinsel, wichtiger, hoffentlich nie zu gebrauchender, vom Seeschifffahrtsamt vorgeschriebener Ausrüstungsgegenstand. Um den Flaggenschein erneuern zu können, mussten wir dieser Behörde den Nachweis der Wartung erbringen. Dieser Schein war schon vorgängig zur Erneuerung fällig und wurde uns problemlos gewährt, lediglich aufgrund unserer Aussage, dass wir die Wartung bei nächster Gelegenheit durchführen.
Von hier aus ein ganz grosses Dankeschön ins Büro dieser verständnisvollen, unkomplizierten Behörde in der Schweiz. Die mit der Wartung beauftragte Firma ist auf solche Aufträge spezialisiert. Zum vereinbarten Zeitpunkt wurde unsere Rettungsinsel durch zwei Mitarbeiter mit Helm und Schwimmweste abgeholt. Prompt erhielten wir ein paar Tage später einen Anruf, sie würden jetzt unsere Insel testen, ob wir dabei sein wollten. Das liessen wir uns nicht entgehen und fanden uns alsobald in einem Lagerraum vollgestopft mit Rettungsinseln und anderem Rettungsmaterial.
Inmitten dieser Halle wurde unsere Insel aufgeblasen und auf Herz und Nieren geprüft. Erstmals sahen wir unsere letzte Hoffnung in aufgeblasenem Zustand in der ganzen Pracht. Die freundlichen Mitarbeiter erklärten uns alle Details und Ausrüstungsgegenstände. Alles konnten wir anschauen und in die Hände nehmen, Fischerhacken, Messer, Wasserbeutel etc.
Die abgelaufenen Notraketen und Handfackeln wurden problemlos ersetzt. Wie viele wollt ihr haben? Am nächsten Tag wurde die neu verpackte Insel wieder auf unserer KAMA* installiert. Soviel Professionalität haben wir nicht erwartet, hat aber das Vertrauen in unsere Rettungsmittel gewaltig gefördert.
Dann haben wir da noch ein Problem mit unserer Funkanlage. Irgendwie will man uns nicht hören. James von der Iron Lady nahm sich dieses Problems an. Mit seinem Messgerät konnte er bestätigen, dass die Leistung unserer UKW-Anlage mangelhaft ist. Wir wechselten die Steckverbindungen.
James und Katja erklommen auch den Mast, um die Antenne zu kontrollieren. Das Problem konnten wir nicht lösen. Erstaunlich, dass wir hier in Puerto Montt, dieser Seefahrerstadt, niemanden finden konnten, der sich professionell diesem Problem widmen konnte. Eine nächste Gelegenheit wird sich erst in Neuseeland ergeben.
Auch der Motorenservice gestaltete sich schwierig. Der Mechaniker war mit unserem zwar modernen, aber zickigem Volvo überfordert. Immerhin die Grundbedürfnisse, wie Öl- oder Impellerwechsel konnte er befriedigen. Er hatte das gleiche Problem, wie der Segelmacher, der unser Bimini überarbeiten und fürs Dinghi eine Schutzhülle fabrizieren sollte. Es gibt hier kein anständiges Material und keine Ersatzteile. Beim Warten der Winschen hat uns Leonardo unterstützt.
Wir haben aber nicht nur gearbeitet. Wichtig war auch das gesellige Zusammensein mit den anderen Crews. Auf der uns am Steg gegenüberliegenden Iron Lady musste der Tiefkühler geleert werden. Gerne haben wir uns geopfert und uns eines Abends dort getroffen, den Grill eingeheizt und uns dieser Aufgabe gewidmet. James hat uns noch in die Details von Iron Lady eingeführt. Das dreistöckige Schiff lässt keine Wünsche offen.
In Puerto Montt gibt es aber auch gute und stilvolle Restaurants. Nach langer Zeit eine willkommene Abwechslung zur Bordküche, die wir auch immer genossen. Margrit und Katja haben sie bis aufs äusserste ausgereizt und immer leckerste Menüs hingezaubert, ganz zu schweigen vom knusprigen Brot und der feinen Züpfe. Eines Abends besuchten wir gemeinsam ein quincho, eine Grillhütte namens Cotelé. Dieses Steakhaus geniesst einen hervorragenden Ruf. Beste Fleischqualität wird einem am Tisch vorgestellt und man entscheidet selbst, von welchem Stück man wieviel gegrillt haben will. Das Fleisch stammt von einem privaten Farmer, nein natürlich von Rindern, die der Farmer von der Geburt bis zum Metzger selbst betreut. Gekonnt wir das Fleisch dann vom Grillmeister über dem offenen Feuer gebraten.
In Angelmó, dem Quartier mit dem Fischerhafen und ehemaligen Handelszentrum trafen wir uns zum Curanto, der lokalen Spezialität von Chiloé und Umgebung. Der Ursprung dieses traditionellen Gerichts liegt im Dunkel der Geschichte. Die Art der Zubereitung lässt aber auf polynesische Herkunft schliessen. Im Erdloch werden Steine erhitzt bis sie knacken, dann direkt Schalentiere, Hühner- und Schweinefleisch sowie Kartoffeln daraufgelegt. Das Ganze wird mit den riesigen Nalcablättern, der chilenischen Rhabarber, auch pangue genannt (gunnera tinctoria), zugedeckt. Darüber wird Gras und Erde gelegt. Eigentlich funktioniert das Ganze wie ein riesiger Dampfkochtopf. Die Nalcablätter spenden die Feuchtigkeit und geben Schutz, die schwere Erde fungiert als Deckel. Et voilà, nach zwei Stunden gräbt man alles wieder aus und legt Fleisch und Kartoffeln dampfend heiss in eine Schüssel. Die Nalcablätter sind nicht essbar, dienen nur der Feuchtigkeitsspende und zum Schutz vor der Erde. Hier im Restaurant wurde der Curanto nicht so aufwendig zubereitet, war aber allemal lecker. Wenn man die kochend heisse, riesige Schüssel vor sich stehen hat, fragt man sich unweigerlich, wie man mit alldem zu Boden kommen soll. Die Leichtigkeit dieses Gerichts macht es einem erstaunlich einfach.
In Puerto Montt gibt es auch eine Markthalle. Das Angebot liess unsere Herzen höherschlagen. Da gibt es Früchte und Gemüse, Fisch und Fleisch zuhauf. Klar, das Angebot ist nicht so riesig, wie wir das in Brasilien oder auf den Kapverden erlebt haben. Es ist aber dennoch erstaunlich, was hier im Süden Chiles an Frischprodukten alles erhältlich ist. Wir liessen uns also nicht lange bitten, unsere arg strapazierten Vitaminspeicher aufzufüllen.
Das touristische Zentrum der wunderbaren Región de los Lagos liegt jedoch gar nicht in Puerto Montt sondern etwa 20 km weiter nördlich in Puerto Varas.
Das Seengebiet umfasst nicht nur die zahlreichen Gewässer. Die Landschaft wird auch geprägt durch zahlreiche hochaufragende Berge, gleissende Gletscher und die perfekt geformten Vulkane mit ihren weissen Mützen aus Schnee. Das touristische Angebot ist enorm, richtet sich vor allem an Outdoor-Fanatiker, die hier ein wahres Paradies finden. Kajak, Fischen Wandern, Bergsteigen, Skifahren, Canyoning, Rafting, Reiten alles ist hier möglich. Puerto Varas gibt sich aber auch kulturell. Man kann hier Ausstellungen und Konzerte besuchen, die angeblich ein beachtliches Niveau erreichen.
Puerto Varas ist aber auch Ausgangspunkt zum Besuch der vielen Nationalparks. Hervorzuheben ist dabei der Parque Pumalín. Der Initiator dieses Parks ist Douglas Tompkins, Gründer von North Face, der nach dem Verkauf seiner Firma mit dem riesigen Vermögen dem chilenischen Staat einen breiten Landstreifen abkaufte, um ihn vor der Abholzung zu bewahren. Die mit der Aufsicht ermächtigte CONAF war mit dem riesigen Gebiet völlig überfordert und nicht fähig, dieses ausreichend zu schützen, weshalb Tompkins eine Stiftung gründete, in welcher Ökologen aus der ganzen Welt die Geschicke des Parks übernahmen. Unter ihrer Leitung konnte gezeigt werden, dass Schutz durchaus vereinbar ist mit Wohlergehen und Prosperität. Der Erfolg rief auch Neider auf den Plan, die mit zahlreichen, abstrusen Verschwörungstheorien das Projekt zu Fall bringen wollten. Auch das Militär realisierte plötzlich, dass der Naturschutzpark, der sich von der argentinischen Grenze bis zum Meer erstreckt das Land in zwei Hälften zerschneidet, und es für sie nicht mehr möglich war, vom Norden in den Süden oder umgekehrt zu gelangen. Doch trotz der vielen Anfeindungen ist der mit fast 300’000 ha grösste Nationalpark Chiles heute ein ökologisches Erfolgsmodell und Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung.
Margrit und ich besuchten Puerto Varas mit unserem Mietauto, währenddessen sich Katja über die Grenze nach Argentinien absetzte und uns von dort mit interessanten und schönen Bildern versorgte. Auch dort gibt es interessante Figuren und schöne Seen.
Bei schönstem und angenehmem Wetter fuhren wir von Puerto Varas entlang dem See bis nach Frutillar.
Die chilenische Schweiz, wie dieses Stück Erde auch genannt wird, erinnerte uns mit ihrer malerischen Kulisse, den grasenden Kühen, dem blauen See und den schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund in der Tat daran, dass wir bald wieder in der Schweiz sein werden. Die Landschaft mit ihren Rieghäusern, den Brauereien und den deutschen Schulen verleiht einem aber auch den Eindruck, sich irgendwo im Schwarzwald zu befinden. Die Prägung der Gegend durch die deutschen Einwanderer ist hier immer noch spür- und erlebbar.
Soviel Süsswasser haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Jetzt nach dem Sommer war die Temperatur des Wassers so angenehm, dass überall gebadet wurde. Die schönen Sandstrände sind einladend.
Unsere Reise durch dieses Stück Chile war also die perfekte Einstimmung auf unsere baldige Heimreise. Nach der langen Reise freuten wir uns auch wieder, unsere Verwandten, Bekannten und Freunde, Katz und Hund zu treffen.Die Bilder, die uns Stefan von zuhause zukommen liess, waren nicht gerade einladend. Keine Spur von Frühling war auszumachen. Gleichzeitig warnte uns Katja aus Argentinien vor den sinkenden Temperaturen. Wettermässig waren wir so quasi zwischen Hammer und Amboss, mit dem besseren Ende in der Schweiz, wo die frostigen Tage gezählt sind.
Katja blieb alleine auf dem Schiff zurück und wartete hier auf Stefan, ihr Plan, gemeinsam den Südpazifik zu erkunden. Frühmorgens, es war noch dunkel und wir mussten den schlafenden Hafenwächter in seiner Portierloge wecken, damit er dem Taxi das Tor öffnen konnte, verabschiedeten wir uns von Katja und begaben uns zum Flughafen El Tepual. Das Übergewicht (des Gepäcks) war nicht das Problem, vielmehr störte uns der verspätete Abflug, was zur Folge hatte, dass wir in Santiago unseren Anschlussflug nach Europa verpassten. Der frühmorgendliche Flug mit dem nochmaligen Blick über die Vulkanlandschaft Südchiles entschädigte uns für die Unannehmlichkeiten und folgenden Wartereien.
In Santiago offerierte man uns einen Flug, der uns im letzten Abendlicht über die hohen Berge der Anden Richtung Madrid brachte.
Von dort war es nur noch ein Katzensprung nach Genf, wo wir von Stefan abgeholt und nach Hause gebracht wurden. Danke!
Dank ebenfalls an Hanneles Schutzengel, der uns die letzten Monate durch all die schwierigen und teils auch gefährlichen Gebiete begleitet hat!