Wellington, die Hauptstadt
Nach der langen Reise haben wir in unserem Motel Apollo Lodge gut geschlafen. Entsprechend sind wir an diesem 21. Oktober schon früh auf den Beinen.
Schliesslich ist ja diese während Jahren verschlafene Stadt auch erwacht und hat sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Kultur- und Lifestylemetropole gewandelt. Wir wollen auch wandeln, in der Stadt herum. Wellington wurde – nach einigen Querelen – erst 1865 offiziell die Hauptstadt Neuseelands und man hat das Gefühl, dass noch heute niemand so richtig glücklich ist mit dieser Wahl. Die Namensgebung geht auf Arthur Wellesley, den 1. Duke of Wellington zurück. Das schon vor den Europäern durch die Maori dicht besiedelte Gebiet wurde von ihnen Te Whanganui-a-Tara, der grosse Hafen des Tara, benannt und ist heute noch die offizielle Bezeichnung für die Hauptstadt in ihrer Sprache. Die früheste Bezeichnung für dieses Gebiet ist allerdings «Te Upoko o Te Ika a Maui», der Kopf von Mauis Fisch. Der Wellington Harbour stellt dann das eine Auge dar. Ein geschützter Hafen, ohne den sich hier die Stadt nicht hätte entwickeln können.
Hier folgten wir der schön gestalteten Promenade auf einem Weg, den es ohne das Erdbeben von 1855 gar nicht gäbe. Damals wurde der Boden um über sechs Meter angehoben und die Uferlinie 300 Meter verbreitert. Das gab der zwischen Wasser und steil aufragenden Hügeln eingeklemmten Stadt einige weitere Entwicklungsmöglichkeiten.
Dieses neue Platzangebot ist heute auch ausgeschöpft und so beginnt die Stadt immer mehr in die Höhe zu wachsen. Vom früher Port Nicholson genannten Wellington Harbour schlängelten wir uns durch das Häusergewirr zum Lambton Quai, der früher die Uferlinie bildete.
Hier, etwas oberhalb, befindet sich das Regierungsviertel mit den Parlamentsgebäuden.
Wir haben uns mit Don und Julie verabredet, die hier eine Führung durch die Gebäude und die Wirren der neuseeländischen Politik gebucht haben. Wir verzichten darauf, haben wir das noch nicht einmal in unserem Heimatland, knappe dreissig Kilometer von unserem Wohnort entfernt, fertiggebracht. Nach gemeinsamem Kaffee verschwinden sie in den Gebäuden und wir sehen uns die Umgebung an.
Neben dem Parlamentsgebäude befindet sich das kreisrunde Abgeordnetenhaus, Beehive, also Bienenstock genannt.
Gegenüber das ganz aus Holz, vor allem Kauri, gefertigte ehemalige Regierungsgebäude. Erst beim zweiten Blick merkt man, dass dieser Bau nicht aus massiven Materialien erbaut wurde. Es ist das grösste Holzhaus auf der Südhalbkugel, das zweitgrösste weltweit. Ein solches Haus könnte heute nicht mehr gebaut werden, schon weil die Kauribäume geschützt sind.
Ein schönes, im viktorianischen Stil erbautes Gebäude ist auch die Parliamentary Library. Interessant, dieses Gebäude wurde in einem aufwendigen und komplizierten Verfahren auf Schwingungsdämpfer aus Gummi gesetzt und kann so Erbeben bis zur Stärke 8 unbeschadet überstehen. Erdbeben gehören hier in Wellington zur Tagesordnung.
Auch der Kathedrale statten wir einen Besuch ab.
Etwas versteckt im Quartier finden wir die Old St. Paul’s Cathedral, eine 1866 ganz aus den in Neuseeland heimischen Hölzern Kauri, Totara, Rimu und Matai erbaut, ein besonders elegantes Beispiel der neugotischen Holzarchitektur. 1964 wurde die Kirche zugunsten der neuen Kathedrale ausser Dienst gestellt, glücklicherweise aber nicht abgerissen.
Im Innern sind noch zahlreiche interessante Details, die uns ein Angestellter geduldig erklärte. So wies er uns auf die ursprünglich wasserbetriebene Orgel hin. Der erste Organist von Old Saint Paul wurde entlassen, weil er oft vergass, nach dem Spiel den Wasserhahn zuzudrehen, was jeweils zu Überschwemmungen in den benachbarten Häusern führte.
Da ist die US-Flagge, übergeben nach dem zweiten Weltkrieg, die nur 48 Sterne aufweist, weil Alaska und Hawaii erst 1959 den Vereinigten Staaten beigetreten sind.
Vorbei wieder an den Parlamentsgebäuden und der Universität gelangen wir zurück in die Stadt.
Nach einem Kaffee, Wellington ist für seine zahlreichen Röstereien berühmt, gelangen wir über die Bolton Street zum gleichnamigen Gedenkfriedhof.
Dieser alte Friedhof gibt Einblicke in das Leben und die Zeit der heranwachsenden Kolonie. Gegründet 1840 ist er doch so alt wie die Besiedlung Wellingtons selbst. Die alten, verwitterten Inschriften der Grabsteine erzählen von den wachsenden Nöten der Siedlung, miserablen hygienischen Verhältnisse, Armut, Feuersbrünsten und Rassismus, aber auch wachsendem Wohlstand in dieser aufblühenden Hafenstadt.
Der Friedhof geht praktisch nahtlos über in den Botanischen Garten. Klar also, dass wir uns auch hier umsehen. Es ist eine schön in die Hügellandschaft eingepasste Anlage mit vielen Schwerpunkten wie Rosengarten, Kakteen mit Felsengarten, Druidenhügel, Kamelien Tal, Orchideenhaus und vielem mehr.
Die ganze Anlage ist dicht übersät mit zahlreichen, interessanten Kunstwerken. Man könnte sich locker den ganzen Tag vergnügen.
Zuoberst auf dem Hügel befindet sich das 1907 errichtete Dominian Observatory. Hier wurde während Jahren aufgrund astronomischer Beobachtungen die Zeit für Neuseeland festgelegt. Heute ist es ein privates Museum, dem wir auch einen kurzen Besuch abstatteten.
Ganz in der Nähe befindet sich die Bergstation des Cable Cars, welcher die Passagiere aus der Fussgängerzone hier auf die Kelburn Hights hinaufbringt. Früher war die Bahn, die mittels Drahtseils im Gegenzugverfahren arbeitet, berüchtigt für die vielen Ausfälle. Die 77-jährige Bahn wurde deshalb 1979 nostalgiehalber ins eigens dafür errichtete Museum hier in der Nachbarschaft verbannt und durch ein nüchternes Schweizerprodukt ersetzt, wodurch die Bahn entscheidend an Zuverlässigkeit gewonnen hat. Anscheinend weiss man in der Schweiz, wie solche Bahnen zu funktionieren haben.
Diese Einrichtung brachte auch uns hinunter ins Fussgängerviertel des Lambton Quays, wobei Quay seit dem Erdbeben der falsche Name ist.
Das Gebiet an der Waterfront heisst heute Frank Kitts Park.
Über die City to Sea Bridge gelangen wir entlang dem Wasser, vorbei am Te Papa Museum zur Oriental Bay, am Fusse des Mount Victoria, den wir nun in Angriff nehmen.
Vorerst durch ein nobles Quartier geht es hinauf zum Kloster und dann durch Wald bis ganz nach oben.
Der Rundumblick gefällt, zu Füssen liegen einem die Stadt, der ganze Port Nick bis hinüber nach Lower Hutt und die Rimutaka Range.
Im Südosten liegt die Halbinsel Miramar, in der dazwischenliegenden Ebene der Flughafen. Im Süden liegt die Cook Strait.
Wir geniessen diese Sicht, sind uns auch bewusst, dass wir ausserordentliches Wetterglück haben, zu oft wird diese Gegend von heftigen Stürmen und Regenschauern heimgesucht. Nicht umsonst wird Wellington auch „windy city“ genannt.
Eigentlich schade wieder hinunterzugehen. Dafür suchten wir uns dazu einen etwas spezielleren Weg aus. Leider nicht mit dem Bike, halt zu Fuss, bewältigten wir den schwarzen Downhill Trail, der sich stellenweise recht herausfordernd präsentierte.
Der Vorteil der von uns gewählten Variante lag darin, dass der Weg praktisch vor unserer Hoteltüre endete. Doch so mitten im Nachmittag mochten wir noch nicht die Beine hochzulagern. Also stapften wir weiter wieder Richtung Stadtzentrum und gelangten so zum reich mit fantasievollen Haifischen geschmückten Parkhaus. Die Haie zeigen sich durchaus von der freundlichen Seite, nichts von furchteinflössend.
Ganz in der Nähe liegt unser eigentliches Ziel, Neuseelands Nationalmuseum Te Papa Tongarewa, was etwa so viel heisst wie „Schatzkiste des Landes“.
Tatsächlich wird auf den sechs Stockwerken alles gezeigt, was Neuseeland an Kultur und Natur zu bieten hat. Partnerschaftlich aufgebaut berücksichtigt es die beiden grossen Kulturen und schlägt Brücken zwischen Maoris und Weissen. Alles konnten wir in der verbleibenden Zeit nicht mehr anschauen, erhielten aber einen schönen Einblick in diese gekonnt konzipierte Ausstellung.
Das Museum schliesst abends um fünf Uhr. So hatten wir noch Gelegenheit ein paar Einkäufe zu tätigen, bevor wir aufs Zimmer zurückkehrten. Heute haben wir uns wortwörtlich die Beine in den Bauch gestampft. 25’000 Schritte hatten wir auf dem Zähler, wen wundert’s, dass wir wieder gut geschlafen haben. Zeitig waren wir am nächsten Morgen wieder auf den Beinen. Da war noch ein Museum, das wir besuchen wollten. Wieder entlang dem Wasser gingen wir zum Hafen, wo sich das Wellington Museum unscheinbar in der Nähe des Fähranlegers versteckt.
1972 ursprünglich als maritimes Museum konzipiert wurde später das Ausstellungsspektrum um die Themen soziale und kulturelle Geschichte der Region erweitert. Uns interessierte natürlich vor allem die maritime Geschichte der Region. Dabei gilt das Hauptthema der Wahine, einem Fährschiff, das 1968 im Sturm beim Einlaufen in den Wellington Harbour auf das Barrett Reef auflief und schliesslich sank, Das Unglück forderte 53 Todesopfer. Ein zwölfminütiger Film über dieses Ereignis macht richtig betroffen und war für uns die richtige Vorbereitung für die Fährüberfahrt auf die Südinsel.
Ja, es wurde Zeit. Die Fähre ist gebucht. Durchs Hafenviertel gehen wir zurück zum Hotel und holen unser Auto. Um 1500h wird eingeschifft.
Et voilà, die Fähre steht bereit. Südinsel wir kommen wieder!