Neuland
Dieses Mal verliessen wir Queenstown mit einem sehr guten Gefühl. Kein Vergleich zum letzten Mal, als wir diese Stadt wegen der verhängten Covid-Massnahmen völlig überstürzt verlassen mussten, ohne sie richtig gesehen zu haben. Wir haben einiges gesehen und wurden reichlich entschädigt, freuten uns aber darauf, Neues zu entdecken. Bei durchzogenem Wetter verliessen wir die Stadt Richtung Norden und fuhren nach Arrowtown, einer ehemaligen Goldgräberstadt.
Sie ist ein weiterer Touristenmagnet, heute aber fest in chinesischer Hand. Die Stadt wurde am Ufer des Arrow River erbaut, der einst eine reiche Goldquelle war. Es war im Jahre 1862 als Tausende von Goldgräbern aus aller Welt hierherzogen, um ihr Glück zu suchen. Die Kumpel sind weitergezogen, hinterliessen aber einen Schatz, der heute als Tohu Whenua, als eines der wertvollsten Kulturgüter der Geschichte Neuseelands gilt.
Wir parkierten also unten am Fluss und gingen zu Fuss an der Kirche mit dem alten Baumbestand vorbei in das Dorf, wo an diesem Sonntagmorgen reger Betrieb herrschte.
Nach einem Bummel über den Markt schlenderten wir durch die Stadt und bestaunten die vielen, meist weiss getünchten, historischen Gebäude. Schade, dass das Wetter heute nicht so mitspielen wollte. Man fühlte sich schon ein paar Jahrzehnte zurückversetzt.
Wir verzichteten darauf, Goldwaschwerkzeug zu mieten, konnten dafür zeitig, zwar immer noch mausarm, unsere Reise fortsetzen.
In steilen Serpentinen ging es hinauf in die Crown Range. Schon auf halber Strecke gibt es einen Rastplatz, von wo man den Blick über die weite Landschaft schweifen lässt, und wären da nicht die tiefhängenden Wolken endete die Aussicht erst drüben bei den Remarkables, die wir gestern bei noch prächtigstem Wetter besucht haben.
Oben auf dem Sattel des Passes angekommen erinnert eine Bronzetafel beim Aussichtspunkt daran, dass wir hier an diesem historischen Pass auf 1076 m Neuseelands höchste befestigte Strasse befahren. Für uns Alpenländer ein Klacks und v.a. bei diesem diesigen Wetter völlig uninteressant.
So setzen wir unsere Reise über die Cardrona Hochebene fort bis zur namensgebenden Ortschaft, die während des Goldrausches eine bedeutende Siedlung, heute lediglich noch eine Skistation ist. Das Skigebiet allerdings hat es in sich – so jedenfalls die Meinung von Stefan, der hier schon vor Jahren die eisigen und ruppigen Pisten hinuntergesaust ist.
Jetzt im Frühsommer denkt hier aber niemand ans Skifahren, trotzdem, die urige Gaststube ist gut besucht und wir begnügen uns mit den aufgehängten Fotos, die zeigen, wie der Winter hier so aussehen kann.
Ansonsten scheint das hier aber eine ziemlich langweilige Ecke zu sein. Anders lässt sich nicht erklären, warum gerade hier ein etwas komischer Weltrekord aufgestellt wurde. Gerüchten zufolge verbrachte eine Frauengruppe die Silvesternacht 98/99 hier im Hotel, jedenfalls hingen anfangs Jahr vier Büstenhalter am Zaun der angrenzenden Farm, und – o Wunder – diese vermehrten sich im Laufe der Zeit auf wundersame Weise immer mehr, wurden aber auch immer wieder gestohlen. Da dieser Zaun auf öffentlichem Grund, entlang der Hauptstrasse (Sicherheitsrisiko) war und von vielen als Schandfleck der Region eingestuft wurde, entfernten die Behörden das angebliche Ärgernis. Als meist fotografiertes Kunstwerk der Region installierte der umtriebige Farmer John oder Sam Lee zusammen mit der nahen Whiskeybrennerei diesen mittlerweile Bradrona – Bra, englisch für Büstenhalter – genannten Zaun auf seinem Land. Die über eintausend BH’s werden gepflegt und auch ausgewechselt, der Zaun mit einer pinkfarbenen Schlaufe versehen und die dazugestellte Sammelbox von den zahlreichen Touristen aus aller Welt gefüttert. Das Geld kommt, zusammen mit einem Obolus aus der Special Edition der Brennerei «The Source Pink Barrel Aged Gin” der neuseeländischen Brustkrebsliga zugute.
Wir verzichteten auf den Besuch dieser im Guinness Buch eingetragenen Attraktion, fuhren stattdessen direkt nach Wanaka, wo wir uns im Top 10 einnisteten. Es war noch früh am Abend und das Wetter hat sich zum Guten gewendet, so entschlossen wir uns, noch eine kleine Wanderung durchzuführen.
Ziel war der Hausberg von Wanaka, der Mt. Iron, die eindrückliche, von Gletschern geformte Felsenknolle, die sich 250 m über das umliegende Land erhebt. Ein Rundweg über den Gipfel bietet fantastische Ausblicke über den Lake Wanaka und die dahinterliegenden Schneeberge der Südalpen, aber auch die Pisa Range und das Upper Clutha Basin, ein wahrlich majestätischer Rundblick. Warum genau dieser Berg Mt. Iron heisst, hat sich uns nie ganz erschlossen. Aber wahrscheinlich erscheint uns, dass dieser Hügel die Form ähnlich einem Bügeleisen aufweist und die Landschaft rundherum topfeben, wie gebügelt daliegt.
Es wäre auch möglich gewesen, dass man eisenhart sein muss, um diesen Hügel zu erklimmen. Dem ist aber bei Weitem nicht so. Auf der Westseite führt der Wanderweg durch schönen Manukastrauchwald, olivenhainähnliche und andere interessante Vegetation sanft in die Höhe bis zum Gipfel, für uns Bergler nicht wirklich eine Herausforderung. Nachdem wir die Rundumsicht in uns aufgesogen und die Erklärtafeln studiert haben, ging es auf der anderen Seite dieses Bügeleisens wieder hinunter nach Wanaka.
Der nächste Tag begann vielversprechend. Als wir am Morgen die Augen öffneten, blinzelten wir einem stahlblauen, wolkenlosen Himmel mitten ins Gesicht. Dieser Blick von unserem Bett auf den heiteren, klaren Himmel riss uns buchstäblich aus den Federn.
Schon früh waren wir also unterwegs entlang dem Lake Wanaka Richtung der Schneeberge.
Unser Ziel war der Mount Aspiring National Park. Hier liegt so etwas wie das Herz oder die Seele Neuseelands oder, anders gesagt, eine Gegend, wie man sich Neuseeland so gemeinhin vorstellt, saftige, fette Weiden und zahlreiche Schafe. Schon die Anfahrt bot unheimlich viel Neuseeland. Wäre es nicht so schön, es wäre Kitsch pur gewesen. Kaum eine Menschenseele, anfangs noch Kühe, wechselte das Bild bald auf die neuseeländischen Schafe.
Der Matukituki River hat hier viel Platz und zieht als silbernes Band ruhig und stolz durch diese erhabene Landschaft, mal breiter mal schmaler, aber immer mit Anstand. Dass es auch struber geht, davon zeugen die Überschwemmungsgebiete auf der anderen Seite der Strasse.
Aber bald wurde es abenteuerlich. Warntafeln weisen darauf hin, dass diese Strasse unbefestigt ist, und man zahlreiche Fords, also Bäche, die sich über die Strasse ergiessen, durchqueren muss. Das Wetter war prächtig, also konnten wir guten Gewissens wagen, diese Strecke bis zu ihrem Ende zu befahren. Wir hatten ja schon Erfahrung von der Coromandel Halbinsel. Aber wehe, es kommt Regen, ein Gewitter, dann wird es unmöglich umzukehren. Zahlreiche Warntafeln konnten uns nicht davon abhalten, weiter in das Tal des West Matukituki Valley vorzudringen.
Am Ende der Strasse und etwa einem Dutzend durchquerter Fords unterschiedlicher Tiefe konnten wir das Auto parkieren, dann schnürten wir unsere Wanderschuhe und auf Schusters Rappen ging es dann weiter entlang dem Matukituki River.
Der leicht zu begehende Weg führt durch offenes Farmland, durch lichten Wald und flaches Grasland, das von Schafen beweidet wird. Ein richtig befreiendes Gefühl.
Dabei folgt der Weg immer dem Fluss, der, je weiter wir vorankommen, immer wilder wird und uns durch sein Farbenspiel entzückt. Wahrscheinlich lebt es sich als Forelle gut in diesem Gletscherwasser.
Dabei schweift der Blick hinauf zum Mont Aspiring und anderen zahlreichen, gletscherbewehrten Gipfeln. Auch dieses Gebiet war einst Spielwiese von Sir Edmund Hilary, bevor er als erster Mensch den Mt. Everest in Angriff nahm.
Von beiden Seiten stürzen sich die Schmelzwasser dieser Gletscher über die steilen Felswände zu Tale. Idylle pur. Man glaubt im Herzen Neuseelands angekommen zu sein. Wir überqueren wackelige Hängebrücken und durchwaten zahlreiche Bäche.
Unser Ziel, die Mt. Aspiring Hütte liegt nicht gleich um die Ecke, so empfiehlt sich, auch einmal eine Pause einzulegen.
Auch wenn heute ein Prachtstag ist, es ist unschwer zu erkennen, woher der Wind hier bläst, selbst die Berge scheinen sich der Hauptwindrichtung zu beugen.
Wir reiten auf einer Welle von Glücksgefühlen und schweben so förmlich in dieses Tal hinein. Immer wieder stehen wir hin und lassen diese unglaubliche, reine Landschaft auf uns einwirken. Natürlich müssen wir auch immer wieder Fotos nehmen, so dass uns jetzt die Auswahl so richtig schwer fällt. Ausser Schafen scheint es hier nichts zu geben. Wir sind mutterseelenallein in dieser Gegend. Ob wir das dem Covid Virus zu verdanken haben? Oder ob das immer so ist hier in dieser Gegend? Wir wissen es nicht, fühlen uns aber privilegiert und geniessen es.
Der ganze Weg ist erstaunlich gut bezeichnet. Nirgends gibt es Zweifel über die Richtung, die man einschlagen soll und so gelangen wir nach ca. drei Stunden zur Mt. Aspiring Hütte, die einsam in dieser verlassenen Gegend steht.
Die Hütte ist natürlich geschlossen und schon gar nicht bewartet. Immerhin finden sich ein Tisch und Bank im Aussenbereich, wo wir es uns gemütlich machen können. Das Innere, durchs Fenster betrachtet, ist sehr einfach gehalten. Ein einziger Raum mit 36 Pritschen und einfachster Küche. Dagegen nimmt sich jede SAC-Hütte als fünf-Stern Hotel aus. Nun, das kümmert uns nicht, wir wollen ja wieder zurück nach Wanaka.
Ratet mal, von wo wir die Sandwiches haben, die wir aus unseren Rucksäcken zaubern. Von Ferg natürlich. Hat uns das geschmeckt! Wir verweilen noch einen Moment und saugen die Frühlingssonne in uns auf.
Den Rückweg können wir gemütlich angehen. Am Weg liegen noch andere Hütten, die aber keinesfalls einladender sind. Der rückwärtig gewandte Blick in die Berge auf unserem Heimweg war keinesfalls weniger eindrucksvoll, wenn auch die Szenerie der umliegenden Gletscherwelt fehlte.
Wir überqueren sogar noch die Hängebrücke über den Matukituki River und gelangen so ins East Matukituki Valley, das seinem Pendant im Westen punkto Schönheit in Nichts nachstehen soll.
Unsere Schatten am Boden waren aber bereits ziemlich lang, und die Sonne wurde von den umliegenden Bergspitzen schon fast aufgespiesst, für uns Zeit, heimzukehren. Wir wollten wirklich nicht das Risiko eingehen, im Dunkeln in einem der Fords hängen zu bleiben. Dafür machten wir nochmals Halt in der Glendhu Bay des Lake Wanakas. Für ein Bad schien uns dieses Gletscherwasser noch deutlich zu kalt.
Wir kehren in unsere Unterkunft zurück und lassen den Tag bei einem feinen Nachtessen ausklingen und geben unseren müden Beinen die Möglichkeit, sich zu erholen. Wer weiss, was der morgige Tag bringen wird?