Die grosse Rundreise / NOCH MEHR GOLD

Noch mehr Gold

Der Tag war also schon etwas fortgeschritten, als wir uns nach Norden auf den Weg machten. Doch kaum zwanzig Meilen weiter lockte eine unscheinbare Abzweigung, der wir nicht widerstehen konnten. Eine kleine, immerhin geteerte Strasse führt hier zur Küste hinunter, wo sich eine kleine, geschichtsträchtige Siedlung befindet, welche fast in Vergessenheit gegangen ist.  Es war vor über 600 Jahren, als die ersten polynesischen Ankömmlinge diesen Ort für sich entdeckten.  Sie konnten sich hier Nahrung beschaffen. Das Meer, die Lagune, der Fluss und die Wälder garantierten das Überleben. Anscheinend waren es vor allem die essbaren, jungen Sprosse des Rohrkolbens, die es den Maoris angetan hatten. Prompt wurden diese zum Namensgeber dieser Siedlung: „ō“ für „Ort von“ und „kārito“ für „junger Spross eines Rohrkolbens“. Der Ort Okarito entwickelte sich zu einem hochkarätigen whare wananga, einem Platz an dem wichtiges Wissen, auch Familientraditionen – whakapapa – weitergegeben wurden, war nohoanga – Lager-/Übernachtungsplatz – aber auch kaihaukai, also Ort, wo neben mahinga kai, der Nahrungsbeschaffung, auch eine Art Handel Brauchtum war.

Es war am 13. Dezember 1642 als Abel Tasman im Rahmen einer seiner Expeditionen hier Neuseeland entdeckte und als erster Europäer diese Siedlung von See aus sah. Aber erst 1847 verirrte sich ein Europäer, nämlich Thomas Brunner, den wir noch vom Lake Brunner her kennen, an diesen Ort.  Das Interesse an dieser Gegend schien jedoch gering, bis hier an einem der schwarzen Strände Gold gefunden wurde. Von Weihnachten 1865 bis zum nächsten Sommer explodierte die Einwohnerzahl und verdoppelte sich auf fast 2000 Personen. Weitere zweieinhalbtausend Personen bevölkerten die Three und Five Mile Beaches bis hinunter zur Gillespies Beach. Schiffe brachten laufend Glücksuchende und Gerätschaften direkt von Australien und ankerten trotz des schwierigen Zugangs in der Lagune. Okarito wurde zur Goldgräberzeit zu einer der geschäftigsten Ortschaften der Westküste. Zahlreiche Läden und Kneipen versorgten die Goldgräber. Bald einmal waren sämtliche Strände der Umgebung umgegraben, die leicht zugänglichen Goldvorkommen erschöpft. Damit sank das Interesse an dieser Gegend rapide und schon nach kaum zwei Jahren schrumpfte die Bevölkerung auf noch lediglich zwölf Familien, die Gegend verkam zu einer Geisterstadt.

Es blieb ruhig bis im Frühling 1934, als eine Gruppe pfiffiger Geschäftsleute aus Auckland ein gutes Geschäft witterten, indem sie die umliegenden Wälder roden wollten, um das Holz nach Australien zu exportieren. Dazu musste aber zuerst wieder ein Hafen, zumindest eine Anlegestelle für die Schiffe geschaffen werden. Ein Kanal wurde vom Meer her in die Lagune gegraben und mit Holz gesichert. Bald jedoch entpuppte sich dieses Vorhaben als wahre Sisyphusarbeit, weil die in die Lagune mündenden Flüsse, diese Wasserstrasse immer wieder versandeten.

Der Kanal zum offenen Meer

Zwei Schiffe wagten die Einfahrt. Prompt sassen sie auf und kamen nur mit grösster Mühe wieder frei.  Kein weiteres Schiff mehr riskierte die Einfahrt durch die anrüchige Lagune.  Das Projekt ist gestorben. Heute leben noch ca. 30 Personen permanent in Okarito. Keine Beiz, kein Laden, rein gar nichts.

Was vom alten „Hafen“ übrig geblieben ist.

 

 

 

 

 

 

Aber wie sagt man in Neuseeland: it was a blessing in disguise, soviel wie: es war schliesslich doch ein Segen. Geblieben sind nämlich eine wunderbare Landschaft, eine ungestörte Natur, ein Paradies für Vögel und zweibeinige Naturfreunde, die in Kayaks rudernd die Lagune und die einmündenden Flüsse erkunden. Die Lagune übrigens, ist erst im 17. Jhdt. in dieser Grösse als Folge eines Tsunamis entstanden. Diese grösste Lagune Neuseelands ist heute noch Heimat, Brutgebiet und Futterplatz des Kotuku, einer Art weissen Reihers, ein wunderschönes, stolzes Tier. Dieser Vogel ist den Maoris heilig. Seine Federn schmückten einst ihre Anführer. Es heißt, dass der Kotuku im Geisterland „Reinga“ lebt. Deshalb werden bei traditionellen Maori-Begräbnissen unter anderem die Worte „nun ist Kotuku dein einziger Wegbegleiter“ gesprochen. Wir erinnern uns an das Cape Reinga, an den Ort, wo die Seelen der verstorbenen Maoris Neuseeland verlassen, um in ihre Heimat, nach Hawaiki, zurückzukehren (s. auch unseren Bericht Winterhalbjahr I, im Archiv unter Februar 2022).

Die Lagune

So, nun habe ich viel zu viel geschwafelt über diesen Ort Okarito, dem wir nur einen kurzen Besuch abgestattet und kaum Fotos genommen haben. Schleunigst fahren wir weiter bis nach Ross. Die Strasse verlässt die Küste, überquert breite, weite Täler mit Geröll führenden Flüssen, die sich weiter unten in die Tasman Sea ergiessen. Ross war das Zentrum des damaligen Goldrausches, erlitt aber das gleiche Schicksal, wie Okarito. 1870 nahm die Bevölkerungszahl rapide ab, da die Goldvorkommen erschöpft schienen. Lediglich auf einem nahen Hügelzug wurde noch – mit sehr mässigem Erfolg, von ein paar beharrlichen Minern Gold geschürft. Doch ohä! 1909 entdeckten zwei dieser starrsinnigen Goldschürfer ein drei Kilogramm schweres Nugget. Dieser sensationelle Klotz bekam einen Namen: «the honourable Roddy», genannt nach dem damaligen für die Minen zuständigen Minister Roderick McKenzie. Man fand auch gleich Verwendung für dieses edle Stück. Es diente lange, allerdings als gut bewachter, Türstopper in einer Kneipe. Später kam dieser Roddy als Regierungsgeschenk für King George V. nach London, wo er angeblich zu königlichem Essbesteck eingeschmolzen wurde. Aber ganz so genau will das niemand wissen. Eine Anfrage der Bürger von Ross am königlichen Hof blieb bis jetzt unbeantwortet.

Nach unserer Ankunft versuchten wir unser Glück im Top 10 Holiday Park, wo wir vorne am Meer tatsächlich in der ersten Reihe in einem komfortablen Container eine Unterkunft für die nächste Nacht fanden. Wir deponierten unser Gepäck und fuhren zurück nach Ross, wo wir uns auf die Spurensuche der ehemaligen Goldgräber machten. Man muss nicht lange suchen. Man wird einfach auf den Ross Water Race Walkway geleitet, einen Rundweg, der die Geschichte von den alten, goldenen Zeiten erzählt.

Dabei wird man an alten Wasserkanälen, gruseligem, spukhaftem, altem Bergbaugerät, Tunnels und einem faszinierenden Friedhof vorbeigeleitet. Der Weg führt über den Hügel, der mittlerweile wieder mit dichtem Buschwald überwuchert ist aus dem auch wieder Vogelgezwitscher zu vernehmen ist. Lücken geben den Blick frei in die weite Landschaft bis hinaus aufs schimmernde Meer. Erklärtafeln erzählen die Geschichte. Man fühlt sich hundert Jahre zurückversetzt. Auch wenn man sich dabei alt vorkommt, sehr anstrengend war diese Wanderung für uns nicht und dauerte kaum zwei Stunden.

Hier in diesem See wurde das Wasser gespeichert. Weil er aber immer wieder die Umgebung überflutete, litt er stark unter Vandalismus, wurde aber jeweils wieder repariert, weil die Goldsucher auf Wasser angewiesen waren.
Hier ist auch der Endpunkt eines Velowegs, der von Greymouth her kommt. Die Westküste hat viele solcher Trails, sei’s zum Radeln, sei’s zum Wandern. Jeder hat seinen eigenen Charme und seine eigenen Herausforderungen.

Wir folgen also unserem Goldgräberweg, auch wenn er nicht überall über alle Zweifel erhaben ist und bestaunen die zahlreichen Relikte, Löcher, Tunnels und Gräben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir begegneten aber auch Werken neuerer Zeit.

 

 

 

 

 

In solchen Hütten hausten die Goldgräber. Klar, dass sie bei dem rauen Klima kräftig einheizen mussten. Berichten zufolge seien sie schon nach wenigen Wochen pechschwarz gewesen. Wasser brauchten sie um Gold zu waschen, sicher nicht für ihre Gesichter und Bärte.

 

 

 

 

 

Klar, dass diese Leute nicht wirklich gesund lebten und häufig im Spital landeten, wo sie zuerst einmal gewaschen wurden. Bei vielen kamen dann wieder die weissen Haare und Bärte zum Vorschein. Offenbar haben aber nicht viele diese Prozedur überlebt. Ihre letzte Ruhestätte fanden sie dann oben auf dem Hügel, mit wunderbarer Aussicht in die weite Umgebung und über das Meer.

 

 

 

 

 

 

Wir beenden unsere Rundwanderung und kehren ins Dorf zurück. Auch da finden sich Zeugen der guten, alten oder vielleicht besser gesagt, der goldenen Zeit. 

Die Kirche scheint immer noch funktionell und in Betrieb.
Dieses miner Haus wurde 1885 erbaut und bis 1959 von der Familie de Bakker bewohnt. Kürzlich wurde es restauriert und hier entlang dem Ross Water Race Walkway wieder aufgebaut.

Weiter vorne treffen wir auf die Überreste eines Förderturms. Seinerzeit wurden damit die Miner bis 120 m unter Tag gebracht und die Kübel mit dem goldhaltigen Gestein nach oben befördert. Angetrieben wurde dieser Lift durch im Kreis laufende Pferde, die eine Trommel drehten und so die Körbe nach oben und unten bewegten. 

 

 

 

 

 

Feuer war bei den dicht zusammen gebauten Holzhäusern eine permanente Bedrohung. Tatsächlich brannten eines Nachmittags im Jahre 1871 in der Aylmer Street fünf Häuser nieder. In der Folge wurde die Feuerwehr wichtiger Bestandteil des Dorfgefüges. Der Glockenturm war ein Geschenk der Feuerwehr von Hokitika und diente als Alarmanlage. Der Feuerwehrschlauch wurde in Melbourne eingekauft.   

 

 

 

 

 

Wo viel Gold ist, darf eine Bank nicht fehlen. Diese Bank würde heutigen Ansprüchen kaum mehr genügen. So wie die Bancomaten-Sprenger heute vorgehen, würde hier wahrscheinlich das ganz Haus in die Luft fliegen.

Natürlich darf an einem solch historischen Ort ein Museum nicht fehlen. Wir hatten Glück, als wir hier vorbei kamen, war es bereits geschlossen. Für heute haben wir ja nun wirklich genug gelernt über die Goldsuche.

Zudem knurrten unsere Mägen. Wir benutzten die Gelegenheit hier im Dorf noch einkaufen zu können, bevor wir zu unserem Container zurückkehrten.

Dort angekommen  gönnen wir uns eine kurze Siesta, während derer wir unsere Füsse in der Sonne aufwärmen können.

Bald jedoch zieht es uns auf die kleine Terrasse, wo wir in der Abendsonne den zuvor eingekauften Apero geniessen.

Zufrieden gehen wir noch zum Strand hinunter, wo wir den Sonnenuntergang auf uns einwirken lassen. Wieder ist ein wunderbarer Tag zu Ende gegangen.