DRAKE HER

Abschied aus der Antarktis

Wie wir zurück zum KAMA* wollen, stellen wir fest, dass er einfach nicht mehr da ist, wo wir ihn verlassen haben. Zwischenzeitlich hat der Wind seine Richtung geändert und gefährlich Eis gegen das Schiff geschoben. Stefan, der hütete, hat die Gefahr erkannt, ging Anker auf und hat den Platz gewechselt. Danke! Wir fanden uns dann am andern Ende der Bucht wieder. Jetzt, da wir ohnehin schon praktisch unterwegs waren, beschlossen wir – obwohl auf der Uhr schon bald Abend – unsere Reise fortzusetzen. Wir begannen damit, KAMA* für die Rückreise nach Südamerika vorzubereiten. Alles musste an seinem Platz und festgezurrt sein. Das Risiko, durchgeschüttelt zu werden, ist gross. Nichts wollen wir riskieren oder dem Zufall überlassen. Wir verabschiedeten uns eiligst von unseren Nachbarliegern Hai You und Vera. Eigentlich schade, es wäre doch schön gewesen hier in dieser Bucht ein paar Tage mit Freunden zu verweilen.

Wir lassen Hai You, Vera und die eben eingetroffene Hortense zurück.

Es war unser schwindender Dieselvorrat, der uns ermahnte an die Rückkehr zu denken. Vorbei an Boll’s Island schoben wir uns vorsichtig aus der Bucht.

Letzter Blick nach Port Lockroy.

Unsere nächste Herausforderung war der Lemaire-Channel, der zur Petermann Insel hinunterführt, ein enger Kanal voller Eis, in die Fahrrinne hineinragender Gletscherzungen und hochaufragenden Felswänden. In den letzten Tagen haben nur wenige Schiffe die Durchfahrt geschafft. Gestern, wie heute mussten auch Kreuzfahrtschiffe auf diese beliebte, weil spektakuläre Durchfahrt verzichten. Viel Eis lag auch in der Bucht nach dem Kap Errera. Der Blick hinaus Richtung Drakestrasse sah nicht nach entspanntem Segeln aus, alles voller Eis. Ob das südlich der Kanalpassage besser sein wird?

Blick hinaus in die Bismarck-Strasse, die voller Eis ist und schwierig zu befahren scheint.

Der Weg zum Lemaire-Channel führte durch den Peltier-Channel nach Süden, vorbei an wunderbaren Felsformationen auf Wiencke Island.

Der Blick zurück durch den Peltier-Channel nach Anvers-Island. Hier pfiff uns ein giftig garstiger Wind entgegen, den wir aber segeln konnten.

Ein Kreuzfahrtschiff auf Gegenkurs kam aussen herum, nicht durch den Kanal entgegen. Wir hielten an unserer fixen Idee fest und folgten unserem Kurs in Richtung auf die schemenhaft vor uns liegende Felswand. Das Wetter wurde immer rauer, der Himmel wolkenverhangen, düster und furchterregend. Beim Cap Errera verliessen wir Wiencke Island und überquerten die Bucht Richtung Graham und Danco Coast. Hier irgendwo musste diese Einfahrt in den Kanal sein.

Wo ist wohl diese Einfahrt in den Kanal?

Wir kommen der Sache näher.

Da vorne scheint es eine Öffnung zu geben.

Beim Näherkommen wird die Sache klar.

 

 

 

 

 

Linker Hand klar erkennbar das fantastische Cape Renard. Würde man es malen, es wäre reiner Kitsch. Zeigt sich da beim genauen Hinschauen nicht schon die Nebelschlange, die Richtung Kanal zieht?
und das hier auf unserer Steuerbordseite müsste Booth Island sein. Hier muss also der Eingang in den Kanal sein.

Und tatsächlich, kaum erkennbar zwischen Wolken und Eisbergen öffnete sich in der Felswand ein Schlitz, der den Weg in den Kanal öffnete. Es war schon ein mulmiges Gefühl, bei Starkwind und so viel Eis am Abend und mutterseelenallein in dieser Welt in dieses Loch hineinzufahren.

Von den steilen Felsküsten brausten Böen hernieder, so schnell, dass sie vom Windmesser nicht einmal erfasst werden konnten. Waren das die berüchtigten katabatischen Winde, die sich mit bis zu 300 km/h die steilen Felshänge hinunterstürzen? Vorsichtig schoben wir uns immer tiefer in diesen Schlitz hinein. Vor uns stoben noch ein paar Walfische. Also kann es ja nicht so schlimm sein, wenn hier noch die Einheimischen verkehren. Vorbei an viel Eis kamen wir vorerst gut voran. Je tiefer wir aber in den Kanal hineinfuhren, je mehr Zickzack mussten wir machen. Wir wurden belohnt mit unbeschreiblich fantastischen Bildern und Eindrücken.

Gletscher bei der Deloncle Bay. Nein, hier wollen wir nicht übernachten.

Margrit und ich auf dem Spitz schoben mit unseren langen Stangen die Eisblöcke zur Seite. Immer mussten wir uns einen einigermassen eisfreien Kanal suchen. Doch kurz nach der Deloncle Bay, bei der südlichen Engstelle des Kanals, war fertig. Soviel Eis wollten wir unserer KAMA* dann doch nicht antun.

Wir mussten aufpassen, weder die Ruderblätter noch die Schraube zu beschädigen. Die Wasseroberfläche war vollkommen zu. Jetzt mussten wir uns entscheiden zwischen Umkehren und der Möglichkeit im Kanal hängen zu bleiben. Wie lange? Niemand kann das sagen, keiner holt dich hier raus. Auch die grossen Kreuzfahrtschiffe sind hier in den letzten Tagen nicht mehr durchgekommen. Folglich dürfte es schwierig werden, einen eisfreien Kanal zu finden.

Eisblöcke, wie Walfischmäuler

Wir entschieden uns fürs Umkehren, da wir zu wenig Fondue dabeihatten, um den nächsten Winter hier zu verbringen. Auch konnten wir nicht auf den Hauslieferdienst von Frau Reist zählen. Hier also, abends um acht Uhr, erreichten wir den südlichsten Punkt unserer Antarktisreise, 65°07’ S, unseren Wendepunkt. Ja, wenden war schon gar nicht mehr so einfach. Wir mussten zuerst fleissig das Eis zur Seite schieben, dann vorwärts rückwärts, vorwärts rückwärts bis wir KAMA*s Nase um 180° gedreht hatten.

Hier gibt es für uns kein Durchkommen. Schade!
Etwas zerknirscht…

 

…aber voller Konzentration
Ja, nu halt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Dann, o Schreck, in unserem Rücken schob sich – bisher von uns unbemerkt – eine dunkle Nebelschlange hinter uns her durch den Kanal und drohte alles zu verschlingen, was sich ihr den Weg stellt. Für uns gab es kein Entkommen, wir mussten hier durch. Die Schlange zeigte sich aber gnädig und verharrte ein paar Meter oberhalb der eisig frostigen Wasseroberfläche. So konnten wir unseren Weg zwischen den Eisblöcken zurückfinden. Ich glaube, unsere Mastspitze kitzelte sogar den Bauch der Schlange. Mit einem gegenseitigen Augenzwinkern verabschiedeten wir uns voneinander. Unser Entscheid umzudrehen und der Schlange Platz zu machen war, wir zweifelten jetzt nicht mehr, richtig.

Hier auf dem Rückweg liegt dicker Nebel vor uns.

Wegen dem Eis mussten wir zurück bis zum Cap Errera, dorthin, wo wir vor Stunden das viele Eis gesichtet haben, das den Weg hinaus in die Drakestrasse blockiert. Hier änderten wir dennoch unseren Kurs nach Norden und verabschiedeten uns endgültig von der Antarktis. Das war’s mit der Antarktis. Ein wunderbares, wahrscheinlich einmaliges Erlebnis auf einem einmaligen Kontinent voller Extreme und Gegensätze. Zwischen zahlreichen Inseln und viel Eis hindurch steckten wir unseren Kurs ab nach Norden, Richtung Kap Horn. Und da war sie wieder, die Spannung und das Kribbeln im Bauch vor dem Überqueren der Drakestrasse. Es wird schon gut gehen!

Die Bismarck-Strasse. Hier durch dieses Eis hindurch müssen wir unseren Weg in die Drake-Strasse hinaus finden.

Unser Kurs durch die Bismarck Strait führte entlang der Südküste von Anvers Island nach Westen. Viel Eis versperrte den direkten Weg. Immer wieder mussten wir Eisbergen ausweichen. Auf Höhe von Arthur Harbour sah man das Licht der Palmer Station, die hier 1965 von den USA errichtet wurde. Interessant, welche Gefühle ein banaler Lichtschein im Dunkel dieser frostigen Einsamkeit auslösen kann. Noch eindrücklicher war das Licht, das der fahle, abnehmende Halbmond auf die im Rücken entschwindenden Berge der Antarktis zauberte. Scharf zeichneten sich die die immer kleiner werdenden, zackigen Bergspitzen mit ihren Schneefeldern im Halbdunkel der antarktischen Nacht gegen den Horizont ab, bis sie schliesslich ganz im vereisten Südpolarmeer versanken. Je weiter wir uns von der Küste entfernten, desto weniger Eis, dafür umso mehr Wind. Bei 5 – 6 Beaufort setzten wir gegen halb Zwölf das dreifach gereffte Grosssegel mit der Fock. Die Umgebung wirkte unfreundlich. Zum müde sein war keine Zeit. Die Post ging ziemlich schnell ab und wir sausten nur so an den Eisbergen vorbei. Da musste man hellwach immer wieder ausweichen oder gut abschätzen, ob man an den eisigen Klötzen vorbeikommt. Im Halbdunkel war gar nicht so einfach auszumachen, wie weit sich jeweils diese frostigen Kolosse unter Wasser noch ausdehnten. Bergy bits sind Eisberge, die nicht mehr als fünf Meter über die Wasseroberfläche hinausragen.  Schon diese waren schwierig zu erkennen. Growlers hingegen, noch kleinere Eisstücke, die kaum aus dem Wasser schauen, waren bei diesen diffusen Lichtverhältnissen kaum zu erkennen und für uns bei diesem Tempo entsprechend gefährlich.

Eine letzte Insel passierten wir um 0330h. Ein wenig einladender, abweisender Felsklotz mit eigenartigem Namen. Buff Island wurde erstmals während der britischen Grahamland-Expedition, die von 1934 – 1937 dauerte kartografiert und benannt. Allerdings ist nicht überliefert und heute nicht mehr nachvollziehbar, wie die Insel zu ihrem Namen kam. Kein mir bekanntes Familienmitglied hat sich je in diese Gegend verirrt. Die Insel wird in unserem Pass auch nicht als Heimatort geführt. Auch Wikipedia weiss nicht mehr, als dass diese Insel am südwestlichen Ende des Palmer Archipels liegt.

Man möge mich entschuldigen, diesen unwirtlichen Fleck Erde überhaupt nur zu erwähnen.

 

 

 

 

 

Gegen Morgen flaute der Wind ab. In der folgenden Nacht konnte KAMA* nur noch mittels Dieselwind bewegt werden. Das änderte sich nicht mehr bis zum Morgen des 30. Januar. Während ein paar Stunden bescherte uns Aeolus fünf Windstärken, das höchste der Gefühle anlässlich unserer Überfahrt in der offenen Drake-Strasse. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Angenehmer hätte es auch auf dem Neuenburgersee nicht sein können.

He, das hier ist mitten in der Drakestrasse!

 

 

 

 

 

 

 

entspannt

 

 

 

 

 

 

 

Selbst der Code Zero, unser Leichtwindsegel wurde während einigen Stunden bemüht, um uns vorwärts zu bringen. Unglaublich! So hatten wir auch genügend Zeit, ein wenig über die Antarktis zu sinnieren, uns ein paar abschliessende Gedanken zu machen und unsere Erlebnisse im Geiste zu verdauen.

Die wie eine riesige Eistorte auf der südlichen Halbkugel liegende Antarktis hat ihren Mittelpunkt beim Südpol. Zu den benachbarten Erdteilen ist es weit, sehr weit, insbesondere wenn man mit einem banalen Segelschiff unterwegs ist. Der Kontinent ist so gross wie Europa und Australien zusammen und zu über 99% mit Eis bedeckt, das stellenweise fast 5’000 m dick ist. In diesem Eispaket sind drei Viertel aller Süsswasservorräte unserer Erde gebunden. Es ist hier aber sonniger als in Kalifornien, dafür deutlich kühler als in einem Gefrierfach. Belegt ist ein Temperaturrekord von -93,2°C. Durchschnittlich betragen die Temperaturen im Landesinnern bis zu -60°C, an den Küsten gegen -30°C. Auf der Westseite der antarktischen Halbinsel, also dort, wo wir unterwegs waren, brachte es der wärmste Tag auf +17,5°C. Diese Gegend wird deshalb auch gerne als «Bananengürtel» bezeichnet. Man stelle sich vor, im Vergleich zur nördlichen Polkappe ist es hier generell um 30°C kälter. Nirgends sonst ist es auf unserem Planeten so stürmisch wie in der Antarktis. Um den eisigen Küstengürtel, der praktisch durchwegs aus einer 20 bis 40 m hoch aufragenden Eisklippe gebildet wird, kreist eine nie endende Kette von Tiefdruckgebieten, die im Schnitt jeden dritten Tag zu einem Sturmtag machen. Von den katabatischen Winden habe ich bereits weiter oben berichtet. Wir sind ungeschoren davongekommen. Da war neben Planung wahrscheinlich auch viel Glück mit dabei. Nirgends sonst ist es auf unserem Erdball so einsam. In der langen Polarnacht bildet sich ein bis 1’000 km breiter Meereisgürtel um den Kontinent. Während dieser Zeit trotzen gerade mal etwa vierzig Forschungsstationen den Unbilden der Natur, Oasen der Eiswüste, die Hunderte bis Tausende Kilometer voneinander entfernt liegen. Damit ist dieser Teil der Erde leerer als die Sahara. Noch vieles gäbe es zu berichten, die Trockenheit, die Lebensfeindlichkeit, die Entstehungsgeschichte oder aber auch, dass das Land im Schnitt höher liegt als die Schweiz. Einen winzigen Teil einer wunderschönen, aber auch wundersamen, interessanten Landschaft durften wir entdecken und bereisen. Eine Gegend, die so rein und unberührt ist, wir hätten nicht einmal einen Apfelstiel über Bord geschmissen. Auf dass diese Natur noch manchen Generationen erhalten bleibe! Im Gegensatz zur polaren Eiskappe im Norden, wo gar nichts mehr bleiben wird, ausser ein paar Bohrtürme und Streit über die Ausbeutung der Bodenschätze.

Dann zeigten sich immer mehr Albatrosse, Zeichen dafür, dass das Land nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte. Wie ein Empfangskomitee begleiteten sie uns, wiesen uns den Weg zum Ziel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ja, wir kommen und freuen uns!

Und tatsächlich, am 1. Februar, 0828h erschien Kap Horn über der Kimm. Über Funk erfragten wir bei der Armada die Erlaubnis in die chilenischen Gewässer einfahren zu dürfen, um Kap Horn besuchen zu können. Wir waren willkommen.

Kap Horn in Sicht.

 

 

 

 

 

Eiligst wurde Sternschnüppli, unser Beiboot an Deck gezerrt und aufgeblasen. Es soll bereit sein. So können wir möglichst rasch an Land. Es ist nicht selbstverständlich hier anlanden zu können. Sehr oft sind die Verhältnisse so rau, dass Ankern, geschweige mit dem Dinghi an zu Land gehen, unmöglich ist. Heute aber erweist der Stille Ozean seinem Namen alle Ehre. Wir sagen Danke und wollen davon profitieren.

 

 

 

 

 

Und was war das Verblüffendste hier an Kap Horn? Nein, nicht die Tatsache, dass das Meer hier in einem der gefährlichsten Seegebiete praktisch flach war, sondern, die Landschaft ist unglaublich GRÜN !

Ruhiges Wasser in der Caleta Leon.

Es war ziemlich genau Mittag, als in der Caleta Leon der Anker fiel. Komisch, ein Gefühl, wie wenn einem ein Stein vom Herzen fällt und dieser ins Wasser plumpst.

 

Hier nochmals als Gallerie