Die Kanäle Südpatagoniens
Bei stark wolkenverhangenem Himmel und leichtem Nieselregen verliessen wir beim ersten Tageslicht die Baia Wodsworth. Noch ein letztes Mal mussten wir die Magellanstrasse überqueren, und zwar dort, wo sie besonders hässlich sein kann, bei der Boca ocidental. Je nach Wind und Wetterlage steht hier der Pazifik voll hinein. Ungemütlich. Wir wussten nicht, wie sich die heutigen Bedingungen präsentieren. Verborgen in unserem Loch spürten wir nichts von der Aussenwelt. Zwar hat das Barometer seinen gestrigen Fall gestoppt, Garantie für günstiges Wetter war das hier aber noch lange nicht. Wir lagen zu nahe an der Zugbahn der südpazifischen Tiefdruckgebiete. Gerne hätten wir beim Leuchtturmwärter von Pta. Felix nachgefragt. Aus dem tiefeingeschnittenen Tal liess sich aber keine Verbindung herstellen. Am hohen, tosenden Wasserfall vorbei schoben wir uns auf gut Glück durch den engen Spalt hinaus in die Boca del Mar.
Und – wir hatten Glück. Zwar kam der Wind von West, also vom Pazifik, mit 2 Bft war er aber so schwach, dass wir ihn nicht einmal segeln konnten. Wir verabschiedeten uns beim Leuchtturmwärter und überquerten unter Motor eiligst die Magellanstrasse. Unser Blick ging hinaus zum Cabo Pilar, wo die Magellanstrasse in den Pazifik mündet. Vorbei an der Isla Tamara gelangten wir zu den Islotes Fairway, wo der Canal Smyth beginnt. Auch hier hat die Armada einen Stützpunkt. Man wird sogar eingeladen, sie zu besuchen. Die Anlegestelle für Besucher ist leider so rudimentär, dass sie uns bei den vorherrschenden Bedingungen nicht empfehlenswert erschien. So blieb es beim obligaten Funkverkehr und wir setzten unsere Reise fort, hinein in die südpatagonischen Kanäle, verliessen also endgültig das Kielwasser Magellans.
Die Bezeichnung Patagonien dürfte übrigens auch auf Magellan zurückgehen. Der Anblick der grossgewachsenen Tehuelche-Indiander erinnerte ihn an den Riesen Pathagón in den Novelas de Caballeria, den mittelalterliche Rittergeschichten, die zu jener Zeit populär waren. Es mag aber auch sein, dass der Name ganz einfach von Patones (spanisch für grosse Füsse, Pfoten) stammt. Jedenfalls kam das den damaligen Entdeckern so vor, weil die Indianer ihre Füsse in dicke Felle packten, was den Anschein von grossen Füssen erweckte. Fast einhundert Meilen erstreckt sich der Canal Smyth gegen Norden, in Richtung unserer Träume von Wärme, Sonne und ruhigem Wetter. Also nichts wie los! An jenem Nachmittag schafften wir noch über dreissig Meilen, bevor abends um acht Uhr unsere Anker in der Bahía Mallet (Isthmus) auf den modrigen, kelpdurchsetzten Grund fiel. Hier gelangt man über eine schmale, kaum hundert Meter lange Landbrücke in den Seno Unión, der nach Puerto Natales führt. Diesen Weg kannten schon die Indianer und schleppten auf diesem Pfad ihre Kanus von der einen auf die andere Seite. Sie sparten sich damit viele Meilen Umweg.
Die schöne Abendstimmung täuscht nicht darüber hinweg, dass wir den 1760m hohen Mount Burney nicht zu Gesicht bekommen haben. Schade.
Anderntags ging es weiter entlang des Canal Smyth bis zur Nordspitze der Halbinsel Zach. Hier zwängten wir uns durch den Paso Victoria, durch welchen man in den Estrecho Collingwood gelangt. Dieser Kanal ist Teil der offiziellen Handelsroute und verbindet den Canal Smyth mit dem Canal Sarmiento. Wendet man sich hier gegen Süden gelangt man in den Seno Unión, über welchen man nach Puerto Natales gelangen kann. Genau dies hatte die mit uns in der Nähe segelnde Lucipara II im Sinn, weshalb wir sie über Funk gebührend verabschiedeten.
Vorbei an weiteren Ankerbuchten mit so wohlklingenden Namen, wie Moonlight Shadow, erreichten wir am Abend der am Canal Sarmiento gelegene Puerto Mayne auf der Isla Evans. Der Name Mayne findet sich noch öfters in dieser Gegend. Kapitän Richard Charles Mayne an Bord der HMS Nassau vollendete Ende der 60iger Jahre des 19. Jhd. die in dieser Gegend von Fitzroy begonnenen Kartografierungsarbeiten und legte damit den Grundstein für den ersten nautischen Führer dieser Gegend. Es sei ihm an dieser Stelle auch von unserer Seite gedankt.
Der folgende Tag hatte wieder eine kleine Herausforderung bereit. Angostura Guía ist eine Engstelle, die je nach Wetterbedingungen und Tidenstrom praktisch unpassierbar wird. Grössere Schiffe melden sich hier via Funk, um sich abzusprechen, weil ein sich Kreuzen hier zwischen Isla Hanover und Chatham praktisch unmöglich, zumindest gefährlich ist. Leichter Gegenstrom bremste unsere Fahrt, ansonsten gelangten wir aber problemlos in den Canal Inocentes, der uns zum Canal Concepción führte. Dieser Kanal hat eine weite Öffnung zum Pazifik, was auch hier zu unangenehmem Schwell und Strom führt. Unbehelligt jedoch erreichten wir abends um acht Uhr die schwierig zu findende und delikate Einfahrt zur Bahía Hugh.
Durch die entrada norte gelangten wir in die weite Bucht. In einem grosszügigen Bogen, vorbei an den Islas Middle und dem Roca Ruff (nicht Buff, wie in der Antarktis), erreichten wir die Isla Bin, hinter welcher sich der hurrikansichere Ankerplatz befindet. Die Einfahrt ist so schmal, dass auf beiden Seiten von KAMA* kaum ein Meter Platz blieb. Doch dahinter öffnete sich ein Büchtlein, einem Ententeich eines mittelalterlichen Schlosses nicht unähnlich, so eng, dass sich unser Schiff darin kaum drehen liess. Unglaubliche Geborgenheit und Wärme umfingen uns. Kein Hauch bewegt das Wasser. Von den greifbar nahen Bäumen und Sträuchern Vogelgezwitscher und Grillengezirpe. Wen wundert’s, dass man hier auf die Idee kommt ins Wasser zu steigen und im Freien zu duschen. Brr! War ganz schön belebend.
Solchermassen erfrischt nahmen wir am kommenden Tag zusammen mit Dada Tux die nächsten Etappen in Angriff. Sie führte uns in den Canal Wide. Auch hier wurden wir vom nach Süden setzenden Strom ausgebremst. Mal rechts, mal links versuchten wir uns möglichst entlang des Ufers, wo die Strömung in der Regel am geringsten ist, nach Norden zu hangeln. Begleitet von verspielten Delfinen genossen wir die Weite des Kanals, in welchem immer wieder das von den nahen Gletschern abgebrochene Eis daher geschwommen kam.
Hansueli, besten Dank für die Fotos!
Mengenmässig erachteten wir die Eismenge als zu gering, um uns am nächsten Ankerplatz gefährlich zu werden. Caleta Sandy, wo wir die Nacht verbrachten, wird immer wieder von solchen Eisblöcken zugemüllt, so dass man die Bucht nicht mehr verlassen kann.
Die von den Bergen herunterstürzenden Nebelschwaden verhiessen nichts Gutes. Der Starkwind blieb jedoch aus. So konnten wir unsere Reise Richtung Edén ohne Unterbruch fortsetzen.
Die Insel Saumarez markiert das nördliche Ende des Canal Wide. Hier entscheidet man sich, ob man durch den Canal Escape oder Grappeler in den Paso del Indio fahren will. Entscheidet man sich, wie wir für den ersteren, müssen die nordgehenden Schiffe laut Anweisung der chilenischen Behörden den Paso Piloto Pardo benützen. Dieser ist auch besser geschützt als der Paso del Abismo. Zudem ist er landschaftlich attraktiv. Von seinen steilen, hochaufragenden Felswänden ergiessen sich unzählige Wasserfälle ins Meer, überall Rauschen, Gurgeln, Brausen, Tosen. Hier wird gar nicht mit Wasser gespart.
Die sich ändernde Vegetation – die knorrigen Windfahnenbäume weichen zunehmend schön gewachsenen Laubbäumen – zaubert auch wieder andere, für uns bislang nicht mehr gewohnte Gerüche in die frische, feuchte Luft. Vorbei auch an schönen, zum Greifen nahen Felsformationen geht es Richtung Paso del Indio.
Im Paso del Indio finden sich vermehrt Seezeichen. Auch begegnet man wieder einzelnen Schiffen, Hinweis darauf, dass die Zivilisation nicht mehr weit sein kann.
Tatsächlich, nach Passieren des Canal Sur öffnet sich der Blick auf Puerto Edén, wo wir nach Rücksprache mit der Armada pünktlich zu Beginn des meteorologischen Frühlings längsseits der beiden anderen Schiffe am Steg der Carabinieri festmachen dürfen.